Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
Vom Netzwerk:
angehen«, meinte Walter, »aber wenn Sie meiner Urgroßmutter erzählt hätten, man könnte innerhalb weniger Stunden von London nach Singapur reisen, indem man in zehntausend Metern Höhe in einer fünfhundertsechzig Tonnen schweren Konservendose durch die Luft fliegt, hätte sie sofort den Dorfarzt gerufen, und Sie wären ins Irrenhaus eingeliefert worden, noch ehe Sie Ihren Satz zu Ende gesprochen hätten! Dabei rede ich hier nicht von Überschallflügen und Mondlandungen und noch weniger von der Raumsonde Stardust, die dreihundertneunzig Millionen Kilometer von der Erde entfernt Aminosäuren im Schweif des Kometen Wild 2 eingefangen hat! Warum mangelt es den gelehrtesten Menschen immer am meisten an Vorstellungskraft?«
    Walter lief wütend im Zimmer auf und ab, und niemand wagte es, ihn in diesem Augenblick zu unterbrechen. Plötzlich blieb er vor Poincarno stehen und richtete den Zeigefinger auf ihn.
    »Ihr Wissenschaftler verbringt den größten Teil eurer Zeit damit, euch zu täuschen. Ihr nehmt euch ständig wieder die Irrtümer eurer Kollegen vor, wenn es nicht sogar die eigenen sind, und streiten Sie das jetzt bloß nicht ab! Ich habe mir die Haare gerauft bei dem Versuch, das Budget so auszugleichen, dass immer wieder Geld da ist, um die Dinge neu zu erfinden. Und jedes Mal wird eine andere Theorie präsentiert und dasselbe Theater wiederholt sich: Das ist unmöglich, unmöglich,
unmöglich! So etwas ist doch unglaublich! War denn etwa vor hundert Jahren Genmanipulation vorstellbar? Hätte man Ihre Forschungen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts auch nur im Ansatz für glaubwürdig gehalten? Meine Ratsmitglieder zumindest nicht … Sie wären schlichtweg als Spinner abgetan worden, sonst nichts. Herr Genetiker, ich kenne Adrian schon lange, und ich verbiete Ihnen, jawohl, ich verbiete Ihnen, ihn der geringsten Hochstapelei zu bezichtigen. Dieser Mann, der Ihnen gegenübersitzt, ist von einer Ehrlichkeit … die fast schon an Dummheit grenzt.«
    Poincarno musterte uns.
    »Sie haben den falschen Beruf gewählt. Sie hätten Anwalt werden sollen! Nun gut, ich werde dem Verwaltungsrat nichts von der Sache erzählen, und wir werden die Blutanalysen fortsetzen. Ich werde bestätigen, was wir herausgefunden haben, aber nur das und nichts anderes. In meinem Bericht werden auch die Anomalien und Unstimmigkeiten Erwähnung finden, die uns aufgefallen sind, und ich werde nicht die geringste Hypothese aufstellen oder irgendeine Theorie unterstützen. Sie können dann veröffentlichen, was immer Sie wollen, aber Sie allein übernehmen die Verantwortung dafür. Sollte mich Ihre Arbeit auch nur mit einem Buchstaben ins Spiel bringen oder als Zeugen benennen, werde ich Sie sofort belangen, ist das klar?«
    »Ich habe nichts Derartiges von Ihnen verlangt«, erwiderte Keira. »Wenn Sie bereit sind, das Alter dieser Zellen zu bestätigen und wissenschaftlich zu bescheinigen, dass sie vierhundert Millionen Jahre alt sind, wäre das schon ein enormer Beitrag. Keine Sorge, es ist viel zu früh, als dass wir irgendetwas veröffentlichen würden. Sie müssen wissen, dass das, was Sie uns mitgeteilt haben, uns ebenso erstaunt wie Sie, und wir sind vorerst nicht in der Lage, irgendwelche Schlüsse daraus zu ziehen.«

    Poincarno begleitete uns zur Tür und versprach, sich in den nächsten Tagen bei uns zu melden.

    An diesem Abend standen Walter, Keira und ich im Regen auf dem Bürgersteig vom Hammersmith Grove. Es war dunkel und kalt, und wir waren erschöpft von dem langen Tag. Walter schlug vor, in einem Pub um die Ecke zu Abend zu essen, und es schien uns nicht möglich, ihn jetzt alleine zu lassen.
    Als wir an einem Tisch am Fenster Platz genommen hatten, bedrängte er uns mit unzähligen Fragen zu unserer Äthiopienreise, und Keira erzählte ihm alles ausführlich. Walter, der gebannt lauschte, fuhr zusammen, als sie von dem Fund des Skeletts berichtete. Angesichts eines so dankbaren Publikums sparte sie nicht an Dramatik, sodass mein Freund mehrmals erschauderte. Er hatte etwas Kindliches, das Keira rührend fand. Als ich die beiden so lachen sah, vergaß ich all die Schwierigkeiten, die wir in den letzten Monaten durchlebt hatten.
    Ich fragte Walter, was er gemeint hatte, als er vorhin zu Poincarno gesagt hatte: »Adrian ist von einer Ehrlichkeit, die schon an Dummheit grenzt …«
    »Dass Sie heute Abend mal wieder die Rechnung bezahlen werden!«, antwortete er und bestellte eine Mousse au chocolat. »Und jetzt regen Sie

Weitere Kostenlose Bücher