Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
Vom Netzwerk:
Bett, dann auf den Teewagen und schließlich auf den Heizkörper -, gelangte ich ans Fenster.
    Die Aussicht war wirklich fantastisch. Das an den Hang geschmiegte Krankenhaus überblickte die Bucht. In der Ferne konnte ich Piräus erkennen. Wie oft habe ich diesen Hafen seit meiner Kindheit gesehen, ohne ihn jedoch wirklich wahrzunehmen.
Das Glück macht zerstreut. Heute, vom Fenster des Zimmers 307 im Athener Klinikum aus, sehe ich ihn mit anderen Augen.
    Unten auf der Straße betritt Walter eine Telefonzelle. Sicher will er das Konsulat anrufen.
    Trotz seines unbeholfenen Auftretens ist er ein großartiger Typ, und ich kann mich glücklich schätzen, ihn zum Freund zu haben.

Paris, Île Saint-Louis
    Ivory erhob sich und griff zum Telefon.
    »Gibt es Neuigkeiten?«
    »Eine gute und eine eher unangenehme.«
    »Dann fangen Sie mit der zweiten an.«
    »Sonderbar …«
    »Was?«
    »Na, diese Manie, immer zuerst die schlechte Nachricht hören zu wollen … Ich werde mit der guten beginnen, ohne sie ergibt die andere keinen Sinn! Das Fieber ist gesunken, und er hat heute Morgen das Bewusstsein wiedererlangt.«
    »Das ist in der Tat eine großartige Neuigkeit, die mich außerordentlich erfreut. Ich fühle mich von einer enormen Last befreit.«
    »Wohl vor allem deshalb, weil Sie ohne Adrian alle Hoffnungen auf eine Fortführung der Recherchen aufgeben müssten, stimmt’s?«
    »Ich habe mir wirklich Sorgen um ihn gemacht. Glauben Sie etwa, ich wäre sonst das Risiko eingegangen, ihn zu besuchen?«
    »Das hätten Sie vielleicht auch besser nicht tun sollen. Ich fürchte nämlich, wir haben uns etwas zu nahe an seinem Bett unterhalten. Er scheint ein paar Gesprächsfetzen mitbekommen zu haben.«
    »Erinnert er sich daran?«, fragte Ivory.
    »Ja, aber zu verschwommen, als dass er ihnen Bedeutung
beimessen würde. Ich habe ihn davon überzeugt, dass er im Delirium war.«
    »Ein unverzeihlicher Fehler meinerseits, ich war äußerst unvorsichtig.«
    »Sie wollten ihn sehen, ohne gesehen zu werden. Außerdem hatten uns die Ärzte versichert, er sei bewusstlos.«
    »Die Medizin ist immer noch eine approximative Wissenschaft. Sind Sie sicher, dass er nichts ahnt?«
    »Seien Sie unbesorgt, er hat anderes im Kopf.«
    »Ist das die unangenehme Neuigkeit, von der Sie mir berichten wollten?«
    »Nein, echtes Kopfzerbrechen bereitet mir, dass er fest entschlossen ist, nach China zu reisen. Ich habe es Ihnen bereits gesagt, er wird niemals achtzehn Monate tatenlos dasitzen und auf Keira warten. Lieber verbringt er die Zeit unter dem Fenster ihrer Zelle. Solange sie hinter Gittern ist, wird er nur auf ihre Befreiung fixiert sein. Sobald er aus der Klinik entlassen wird, fliegt er nach Beijing.«
    »Ich bezweifele, dass er ein Visum bekommt.«
    »Auch wenn er Bhutan zu Fuß durchqueren muss, er wird alles tun, um zu ihr zu gelangen.«
    »Er muss seine Recherchen wieder aufnehmen, ich kann nicht achtzehn Monate warten.«
    »Er hat mir, was die Frau seines Herzens betrifft, genau dasselbe gesagt. Ich fürchte, Sie werden sich, so wie er, in Geduld üben müssen.«
    »Achtzehn Monate haben in meinem Alter natürlich einen ganz anderen Wert als für ihn.«
    »Ach, Sie sind doch noch bestens in Form. Und das Leben endet in hundert Prozent aller Fälle tödlich«, fuhr Walter fort. »Ich könnte zum Beispiel von einem Bus überfahren werden, wenn ich aus dieser Kabine trete.«

    »Halten Sie ihn um jeden Preis zurück, reden Sie ihm aus, in den nächsten Tagen irgendetwas zu unternehmen, und verhindern Sie vor allem, dass er Kontakt zu einem Konsulat aufnimmt oder gar zu den chinesischen Behörden.«
    »Und warum?«
    »Weil bei diesem Spiel vor allem Diplomatie gefragt ist, und das scheint nicht gerade seine Stärke zu sein.«
    »Dürfte ich wissen, was Sie vorhaben?«
    »Beim Schach nennt man das Rochade, in ein oder zwei Tagen sage ich Ihnen mehr. Auf Wiedersehen, Walter, und geben Sie acht, wenn Sie die Straße überqueren …«
    Nachdem das Gespräch beendet war, verließ Walter die Telefonzelle und vertrat sich die Füße.

London, St. James’s Square
    Das schwarze Taxi hielt vor der eleganten viktorianischen Fassade eines herrschaftlichen Stadthauses. Ivory stieg aus, bezahlte den Fahrer, nahm seine Reisetasche und wartete, bis sich der Wagen entfernt hatte. Dann zog er an der Kette, die rechts neben der Eingangstür angebracht war. Eine Glocke ertönte, Ivory hörte, wie sich Schritte näherten, dann öffnete ihm ein Butler. Ivory reichte

Weitere Kostenlose Bücher