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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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ihm seine Visitenkarte.
    »Wären Sie so freundlich, dem Herrn des Hauses zu sagen, dass ich in einer dringlichen Angelegenheit bei ihm vorsprechen möchte?«
    Der Butler bedauerte, sein Herr sei nicht in der Stadt, und er fürchte, ihn nicht erreichen zu können.
    »Ich weiß nicht, ob sich Sir Ashton in seiner Residenz in Kent, auf seinem Jagdsitz oder bei einer seiner Mätressen befindet, und, um ehrlich zu sein, ist mir das auch völlig egal. Was ich aber weiß, ist, dass Sie gewaltigen Ärger bekommen, wenn ich abreisen sollte, ohne Ihren Herrn, wie Sie ihn nennen, gesehen zu haben. Deshalb fordere ich Sie hiermit auf, sich auf der Stelle mit ihm in Verbindung zu setzen. Ich werde inzwischen einen kleinen Rundgang durch Ihr nobles Viertel machen, und wenn ich zurück bin und erneut an dieser Tür läute, werden Sie mir den Ort nennen, wo er mich empfangen möchte.«
    Ivory stieg die wenigen Stufen der Außentreppe hinab und entfernte sich, sein leichtes Gepäckstück in der Hand. Zehn Minuten später, als er am Zaun einer kleinen Grünanlage entlangschlenderte,
hielt eine luxuriöse Limousine neben ihm. Der Fahrer stieg aus, öffnete eine der hinteren Türen und erklärte, er sei beauftragt, ihn an einen Ort etwa zwei Stunden von London entfernt zu fahren.
    Die englische Landschaft war so schön, wie er sie aus alten Zeiten in Erinnerung hatte, nicht so weitläufig und üppig zwar wie die seiner Heimat Neuseeland, aber trotzdem eine Wohltat fürs Auge.
    Ivory hatte es sich auf der Rückbank bequem gemacht und nutzte die Fahrt, um ein wenig zu entspannen. Es war kurz vor Mittag, als ihn das Knirschen der Reifen auf dem Kies aus seinen Träumereien riss. Der Wagen fuhr eine prächtige Allee, gesäumt von perfekt geschnittenen Eukalyptushecken, hinauf. Er hielt unter einem Portalvorbau mit Säulen, an denen Rosen hochrankten. Ein Hausdiener führte ihn durch den Wohnsitz zum kleinen Salon, wo ihn sein Gastgeber erwartete.
    »Cognac, Bourbon, Gin?«
    »Ein Glas Wasser wäre mir recht. Guten Tag, Sir Ashton.«
    »Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen, zwanzig Jahre?«
    »Fünfundzwanzig, und sagen Sie jetzt bitte nicht, ich hätte mich nicht verändert. Man muss den Dingen ins Gesicht sehen, wir sind beide gealtert.«
    »Ich nehme an, das ist nicht der Grund, der Sie hergeführt hat.«
    »O doch, stellen Sie sich vor! Wie lange geben Sie uns?«
    »Das müssen Sie mir sagen, schließlich haben Sie sich selbst eingeladen.«
    »Ich sprach von der Zeit, die uns hier auf Erden bleibt. In unserem Alter - höchstens zehn Jahre?«
    »Wie soll ich das wissen, und überhaupt habe ich keine Lust, mir darüber Gedanken zu machen.«

    »Welch prächtiger Landsitz«, fuhr Ivory fort und blickte durch die großen Fenster hinaus auf den parkähnlichen Garten. »Ihre Residenz in Kent, so heißt es, steht dieser in nichts nach.«
    »Ich werde meinen Architekten Ihr Lob ausrichten. Ist dies jetzt der Anlass Ihres Besuchs?«
    »Das Ärgerliche an all diesem Besitz ist, dass man ihn nicht mit ins Grab nehmen kann. Die Anhäufung von Reichtümern, die so viele Mühen und Opfer gekostet hat … Und dann, am letzten Tag, alles wertlos. Selbst wenn man Ihren schönen Jaguar vor dem Friedhof parkt - unter uns gesagt, die Ledersitze und das Armaturenbrett aus Teakholz, ein Traum!«
    »Aber diese Reichtümer, mein lieber Ivory, werden von Generation zu Generation weitergegeben, genauso wie unsere Väter sie an uns weitergegeben haben.«
    »Schönes Erbe, was Sie betrifft, das lässt sich nicht leugnen.«
    »Nicht dass mir Ihre Gesellschaft unangenehm wäre, aber ich habe einen sehr vollen Terminkalender. Deshalb sagen Sie mir bitte endlich, worauf Sie hinauswollen.«
    »Sehen Sie, die Zeiten haben sich geändert. Das dachte ich mir gestern erst wieder, als ich die Zeitung las. Die Finanzminister sitzen hinter Gittern und verbringen ihr Lebensende in engen Zellen. Adieu, ihr Paläste und Landsitze! Der VIP-Bereich schrumpft auf maximal neun Quadratmeter! Und inzwischen bringen ihre Erben das Vermögen durch und versuchen, den Namen zu wechseln, um sich von der Schande ihrer Eltern reinzuwaschen. Das Schlimmste ist, niemand kann sich mehr in Sicherheit wiegen, Straffreiheit ist ein unerschwinglicher Luxus geworden, selbst für die Reichsten und die Mächtigsten. Die Köpfe rollen einer nach dem anderen, das scheint jetzt Mode zu sein. Sie wissen es ja besser als ich, die Politiker haben keine Ideen mehr, und wenn sie welche haben, sind

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