Die erste Todsuende
zwischen fünfunddreißig und vierzig - , groß und schlank. Er ist in guter körperlicher Verfassung und kräftig. Seine Körperreaktionen sind sehr schnell. Wahrscheinlich ist er Junggeselle, möglicherweise ein latenter Homosexueller. Er kleidet sich gut, aber konservativ. Dunkle Anzüge. Wenn Sie ihm nachts auf der Straße begegneten, würden Sie sich völlig sicher fühlen. Vermutlich hat er eine gute Stellung und macht seine Arbeit recht gut. Er hat nichts, aber auch gar nichts an sich, was einen Verdacht schöpfen ließe. Aber er ist der Gefahr verfallen, liebt sie, geht Risiken ein. Er ist Bergsteiger. Er behält stets einen kühlen Kopf, ist entschieden und wohnt hier in der Gegend, da bin ich ganz sicher. Und groß. Sagte ich schon, daß er groß ist? Ja, das hab ich. Schätzungsweise einsachtzig oder darüber."
Ihr Erstaunen hätte nicht größer sein können, und er verwünschte seine Eitelkeit, die ihn dazu getrieben hatte, vor ihr den Mund so voll zu nehmen.
„Aber woher wissen Sie das alles?" fragte sie schließlich.
Er erhob sich und suchte mürrisch seine Papiere zusammen. Er ärgerte sich über sich selbst.
„Sherlock Holmes", sagte er säuerlich. „Das alles sind nur Mutmaßungen, Mrs. Gilbert. Vergessen Sie's. Ich hab bloß angeben wollen."
Sie brachte ihn an die Tür.
„Es tut mir leid, was ich gesagt habe." Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich weiß, daß Sie es tun müssen."
„Ja." Er nickte. „Ich muß es tun."
„Bitte, Captain, tun Sie alles, wovon Sie meinen, daß es getan werden muß. Ich habe ja keine Ahnung von all diesen Dingen. Für mich ist das alles völlig neu."
Er lächelte sie an, sagte nichts.
Er ging zu Fuß nach Hause, entschlossen, nicht länger darüber nachzudenken, wie sehr er sich zum Narren gemacht hatte - wenn schon nicht in ihren, so doch in seinen eigenen Augen. Bei einer Telefonzelle blieb er stehen und rief Thorsen an. Es dauerte fünf Minuten, ehe Thorsen zurückrief.
„Was gibt's Neues?"
„Ich habe eine Liste mit hundertsechzehn Namen und Adressen. Die muß unbedingt überprüft werden."
„Mein Gott!"
„Es muß sein."
„Ich weiß, Edward. Hm... zumindest haben wir jetzt ein paar Namen. Das ist mehr, als Broughton hat."
„Er hat Schwierigkeiten, wie ich höre."
„Ja, da haben Sie richtig gehört."
„Was meine Liste betrifft - ich werde sie Ihnen morgen zustellen lassen. Vergessen Sie bitte nicht, bei der Bundeszentralstelle für Kraftfahrzeuge nachzufragen und auch im Sonderdezernat der New Yorker Polizei. Können Sie das einrichten?"
„Ja, das muß möglich sein, Edward, glauben Sie, daß er auf der Liste steht?"
„Das will ich doch stark hoffen", sagte Delaney. Von allen Seiten bedrängten sie ihn.
Er überlegte, wie er vorgehen sollte, und kam zu folgendem Entschluß: Er würde Monica Gilbert bitten, irgendwelche Vorstrafen auf den einzelnen Karteikarten zu vermerken. Sodann würde er fünf oder sechs Schachteln mit verschiedenfarbigen Kartenreitern kaufen und sie nach einem bestimmten System aufsetzen: roter Reiter - Verkehrsdelikt, blauer Reiter - im Strafregister von New York geführt... und so weiter. Liefen dann die Computerberichte ein, brauchte er sich nur Monica Gilberts Kartei anzusehen und konnte mit einem Blick feststellen, welche Karten einen, zwei, drei oder gar noch mehr Reiter trugen. Er stellte es sich noch einmal bildhaft vor und meinte, so müßte es gehen.
39
Es fing an, Gestalt anzunehmen. Langsam. Das, was er in Bewegung gesetzt hatte. Die ersten Überprüfungsergebnisse kamen von der Kraftverkehrsstelle des Staates New York: ein säuberlich gefalteter Computerauswurf in dreifacher Ausfertigung. Delaney überflog ihn, stellte fest, daß über elf Personen etwas vorlag, riß einen Durchschlag für sich ab und ging dann mit den Unterlagen zu Monica Gilbert. Er erklärte ihr seine Absicht:
„Es handelt sich um Computerdruck — nur Großbuchstaben und keine Interpunktion. Man muß sich nur einlesen, dann geht es ganz gut. Der erste Name lautet AVERY JOHN H East 79th Street. Haben Sie die Karteikarte?"
Gehorsam zog sie die gewünschte Karte heraus und reichte sie ihm.
„Also. Dieser Avery mußte eine Buße zahlen, weil er unberechtigt auf einer gebührenpflichtigen Autobahn fuhr. Bekannte sich schuldig und bezahlte die Strafe. So geht es hier in schönem Behördenkauderwelsch, aber das kriegen Sie schnell heraus. Machen Sie bitte auf der Karte einen kurzen Vermerk: 'Straßengebühr nicht bezahlt
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