Die erste Todsuende
dem Fenster zu ziehen, und er berichtete ihr von der Mühe, die Barbara und er sich jahrlang damit gemacht hatten, Blumen und blühende Sträucher in ihrem kleinen, schattigen Garten hinterm Haus zu ziehen, bis sie schließlich vor dem Ruß und dem übersäuerten Boden die Waffen gestreckt und dem Efeu das Feld überlassen hatten, der überall wucherte, was erstaunlich hübsch aussah.
„Hm", sagte er, nachdem sie den Kaffee ausgetrunken hatte, „ich würde mir gern die Kartei einmal ansehen. Haben Sie alles eingetragen?"
„Ja." Sie nickte. „Ich bin mit allem fertig. Ich fürchte nur, Sie werden enttäuscht sein."
„Das bin ich im allgemeinen", sagte er und verzog den Mund.
„Wir haben es eben nur mit den erfolglosen Kriminellen zu tun", sagte sie und lächelte.
„Wie bitte?" fragte er umd merkte zuerst gar nicht, daß sie ihn aufzog.
„Nun, wenn jemand gefaßt und verurteilt wird, dann beweist das doch, daß er als Krimineller nicht sehr tüchtig ist, oder? Er hat sich erwischen lassen. Wenn er seine Sache gut gemacht hätte, dann würde es kein Strafregister geben."
„Da haben Sie recht." Er lachte.
Sie gingen zu Fuß zu Monicas Wohnung. Ihre Vermutung traf zu: Die Kriminalakten waren eine Enttäuschung. Was er sich erhofft hatte, war, daß die Karteikarten einen wahren Wald von farbigen Kartenreitern aufweisen würden, daß auf den Karten bedeutsame Straftaten notiert wären, die einen Hinweis gaben, ob jemand ein Psychopath war oder zu Gewalttätigkeit neigte.
Statt dessen sah die Kartei entmutigend kahl aus. Auf einer Karte staken drei Reiter, zwei Karten waren mit zwei und 43 Karten mit nur einem Reiter besteckt. Kein einziger von den neun Eispikkelkäufern, die Delaney bereits überprüft hatte, wies Vorstrafen auf.
Während er auf Monicas Küchentisch langsam die reiterbesteckten Karteikarten durchsah, hatte sie sich etwas zum Nähen geholt, eine randlose Brille aufgesetzt und säumte ein Kinderkleid. Als er mit der Durchsicht der Kartei fertig war, schob er den Karteikasten von sich, und bei diesem Geräusch blickte sie auf. Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln.
„Sie haben recht", sagte er. „Eine Enttäuschung. Ein Sittlichkeitsdelikt, ein Raubüberfall, eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang. Und Steuersünder. Mein Gott, hätten Sie gedacht, daß es so viele Steuersünder gibt?"
Sie lächelte und machte sich wieder an ihre Näharbeit. Er saß brütend da und klopfte leicht mit dem Radiergummiende seines Bleistiftes auf die Tischplatte.
„Selbstverständlich ist das ein gutes Revier", dachte er laut vor sich hin. „Und wenn ich gut sage, dann meine ich besser als East Harlem und Bedford-Stuyvesant. Das Pro-Kopf-Einkommen ist das zweithöchste der Stadt, und die Rate der Gewaltverbrechen liegt im unteren Drittel. Im allgemeinen ist Geldmangel die Ursache für Gewaltkriminalität. Was wir hier also haben, ist ein recht wohlhabendes Revier, und es geht um eine Kartei von Leuten, die es sich leisten können, für ihre Liebhabereien Geld auszugeben, und zwar viel Geld. War wohl dumm von mir anzunehmen, daß Bergsteiger und Tiefseefischer den gleichen Prozentsatz an Vorstrafen aufweisen wie die Bewohner der Gettos. Und trotzdem... es ist enttäuschend."
„Verlieren Sie jetzt den Mut?" fragte sie ruhig und ohne aufzusehen.
„Monica", sagte er, und der Ton, in dem er das sagte, ließ sie doch aufblicken; und sie sah, wie er sie anlächelte. „Ich lasse mich nie entmutigen", sagte er. „Nun ja... jedenfalls kaum. Den Sittenstrolch werde ich mir mal ansehen, genauso den Schläger und den Einbrecher. Und wenn da nichts dabei herauskommt, dann gibt es immer noch tausend Dinge zu tun. Ich fange ja gerade erst an."
Sie nickte und nähte weiter. Er machte sich ein paar Notizen über die drei Verbrecher, die in der Kartei waren. Um nichts zu versäumen, notierte er sich auch noch Namen und Adressen von Männern, die wegen Zerstörung von öffentlichem Eigentum, Erpressung und dem Knacken von Safes verurteilt worden waren, obwohl er fest davon überzeugt war, daß bestimmt nichts dabei herauskam. Er warf einen Blick auf die große Sprungdeckeluhr, die seinem Vater gehört hatte, und sah, daß er noch Zeit hatte, drei oder vier Personen zu überprüfen.
Er stand auf, sie legte ihr Nähzeug beiseite und erhob sich ebenfalls. Gleichzeitig nahmen sie beide die Brille ab - und mußten lachen, weil es so komisch war.
„Ich hoffe, Ihrer Frau geht es bald besser", sagte sie und
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