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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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machte die Tür des Wandschranks in der Diele auf.
    Auf dem obersten Bord; sechs geschlossene Hutschachteln und eine pelzgefütterte Winterkappe, wie Reiter sie tragen.
    An der Stange: zwei Jacketts, drei Mäntel, zwei Regenmäntel, eine olivfarbene Joppe aus Uniformstoff mit eingeknöpftem Lammfellfutter und einer Kapuze daran, eine pelzgefütterte hüftlange Jacke, zwei federleichte Nylonjacken.
    Auf dem Boden: ein zusammengerollter, verschnürter Schlafsack, schwere Kletterschuhe mit geriffelten Sohlen, ein Satz Steigeisen, ein Rucksack, ein Klettergürtel, ein zusammengewickeltes Nylonseil und...
    Ein Eispickel!
    Da war er. So einfach war das. Ein Eispickel. Delaney starrte ihn an, doch kein Hochgefühl bemächtigte sich seiner. Allenfalls ein Gefühl der Genugtuung. Mehr nicht.
    Er starrte ihn fast eine Minute lang an - nicht, weil er seinen Augen nicht getraut hätte, sondern um ihn sich genau einzuprägen. Erst dann griff er danach, nahm ihn in die behandschuhte Hand und sah ihn sich genau an. „Made in West Germany". Ähnlich wie das Modell, das er bei 'Camper-Glück' gesehen hatte. Er schnupperte am Schlagkopf — eingeölter Stahl. Der Stiel dunkel von Schweißflecken. Mit einem Dietrich lüftete er behutsam das Leder des Stiels, aber nur ganz wenig. Keine Flecken darunter. Doch er hatte auch nichts anderes erwartet.
    Den Eispickel in der Hand stand er da. Es kostete ihn Überwindung, ihn wieder zurückzustellen, aber der Pickel konnte ihm auch nicht mehr verraten; und Delaney bezweifelte, ob er den Gerichtsmedizinern mehr verraten würde. So vorsichtig wie möglich stellte er ihn zurück, machte die Schranktür zu und sah auf die Uhr: fünfzehn Minuten.

    Der Wohnzimmerboden bestand aus schachbrettartig verlegten weißen und schwarzen PVC-Platten. 45 cm im Quadrat. Ungleichmäßig verteilt lagen sechs kleine Brücken in leuchtenden Farben darauf. Die modernen Muster verrieten die skandinavische Herkunft. Er hob jede Brücke auf und sah darunter nach. Er erwartete nicht, etwas zu finden, und fand auch nichts.
    Ein paar Minuten verschwendete er damit, sich die spiegelbedeckte Wand zu betrachten. Gern hätte er hinter jedem einzelnen Spiegel nachgesucht, aber er wußte, daß das eine Ewigkeit dauern würde. Außerdem würde er es nie schaffen, sie genauso wieder hinzuhängen, wie sie aufgehängt waren. Statt dessen wandte er sich einem in der Nähe des Fensters stehenden Schreibtisch zu: ein schwerelos anmutender, eleganter Dreifuß aus Chrom und Glas. In der Mitte eine Schublade, auf der linken Seite eine tiefe Schublade mit Hängeregistratur.
    Die Mittelschublade war mit einem weißen Plastikeinsatz wunderbar übersichtlich unterteilt: Büroklammern (zwei Größen), gespitzte Bleistifte, Briefmarken, eingebaute Tesafilmrolle, Scheren, Lineal, Brieföffner, Vergrößerungsglas - alles zueinander passend. Delaney war beeindruckt. Nicht neidisch, aber beeindruckt.
    Drei Postsachen lagen auf der Schreibtischplatte, darunter der Winterkatalog von 'Camper-Glück'. Der Captain lächelte, doch ohne Freude. Daneben lag etwas, das offenbar die Hälfte eines Gehaltsschecks war: jene Hälfte mit der Aufstellung der Steuern, der Sozial- und Krankenversicherung und sonstiger Abzüge. Delaney setzte die Brille auf und sah sich die Abrechnung an. Danach schien Blank rund 55000 Dollar im Jahr zu verdienen. Nicht schlecht.
    Die dritte Postsendung war ein geöffneter, an Mr. Daniel Blank adressierter größerer Umschlag. Der Absender war irgendein medizinisches Labor. Delaney zog den mit Heftklammern zusammengehaltenen Bericht heraus und überflog ihn. Offenbar hatte Blank sich vor einem halben Jahr einer gründlichen ärztlichen Untersuchung unterzogen. Er hatte die üblichen Kinderkrankheiten durchgemacht, doch außer anläßlich einer Mandeloperation im Alter von neun Jahren war er nie im Krankenhaus gewesen. Sein Blutdruck lag ganz leicht unter normal, und das linke Ohr wies eine zwanzigprozentige Hörschädigung auf. Sonst schien er für einen Mann seines Alters in tadelloser körperlicher Verfassung zu sein.

    Delaney steckte den Bericht wieder in den Umschlag, doch dann fiel ihm plötzlich etwas ein. Er zog ihn noch einmal heraus und notierte sich Blanks Blutgruppe.
    In der Schublade links unten lag nur eine Dokumentenkasette aus Metall. Delaney hob sie heraus und sah sie sich genau an. Sie war verschlossen. Er prüfte das Schloß. Es würde höchstens fünf Minuten dauern, es mit einem Dietrich zu öffnen - aber

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