Die erste Todsuende
lohnte sich das? Wahrscheinlich waren nur Scheckbücher und Sparbücher darin, vielleicht etwas Bargeld, ein Mietvertrag, Paß, weniger wertvolle Dokumente, die man nicht im Banksafe aufzuheben brauchte. Dieser Blank besaß bestimmt ein solches sicheres Bankschließfach. Das paßte zu ihm. Delaney stellte die Kassette in die Schublade zurück. Wenn ihm noch Zeit blieb, würde er darauf zurückkommen. Er warf einen Blick auf die Uhr: beinahe fünfundzwanzig Minuten.
Er wollte ins Schlafzimmer gehen, blieb jedoch vor einem Barschrank aus Ebenholz und Aluminium stehen und konnte der Versuchung nicht widerstehen, zwei Türen aufzumachen. Der Getränkevorrat war sonderbar zusammengesetzt: eine Flasche Gin, ein schottischer Whisky, ein Roggenwhisky, eine Flasche Bourbon, eine Flasche Rum und mindestens ein Dutzend Flaschen verschiedener Kognak- und Likörsorten. Sonderbar, höchst sonderbar. Was fing ein erwachsener Mann bloß mit einem tintenfarbenen Likör namens „Fleur d'Amour" an?
Eine gute Haussuchung beruhte auf methodischem Vorgehen. Wenn man genug Zeit und genug Leute zur Verfügung hatte, ließ sich alles mit Sicherheit finden. Die meisten Menschen, die irgend etwas zu verstecken hatten - Dokumente, Geld, Beweisstücke, Rauschgift -, versteckten es in ihrer eigenen Wohnung. Sie konnten leichter kontrollieren, ob es noch da war, konnten es im Notfall rasch zerstören. Und hatten es zur Hand, wenn sie es brauchten.
Innerhalb der eigenen vier Wände folgten die meisten Menschen - wie erfahrene Polizeibeamte sehr wohl wußten - zwei Tendenzen: einer rationalen und einer emotionalen. Der Verstand sagte ihnen, daß, wenn man ein einigermaßen normales Leben führte, bisweilen Freunde oder Nachbarn unerwartet zu Besuch kamen. Folglich verbarg man sein Geheimnis nicht ausgerechnet in der Diele, im Wohn- oder Eßzimmer, also in Räumen, zu denen auch andere Zugang hatten. Vielmehr wählte man Bad oder Schlafzimmer - also jenen Bereich, der einem selbst gehörte. Dort war man nackt, schlief oder badete oder verrichtete seine täglichen Körperfunktionen. Diese Räume waren das „heimliche Refugium" des Menschen. Wo sonst sollte man etwas verbergen, das nur für einen selbst von großem Wert ist, etwas, das man mit niemandem teilen möchte?
Delaney ging direkt ins Badezimmer und hob den Deckel des Wasserbehälters hoch. Ein alter Trick, der aber gelegentlich noch immer angewendet wurde. Nichts.
Rasch klopte er die Wandkacheln ab, hob die Badematte hoch, inspizierte das Medizinschränkchen noch einmal genauer, nahm seine Stablampe und klopfte die Stange, an der der Duschvorhang hing, ab. Alles hohl. Was suchte er eigentlich? Er wußte es, wollte es sich jedoch selbst nicht eingestehen. Nicht in diesem Augenblick. Er suchte nur.
Er ging ins Schlafzimmer. Hob den Bettvorleger hoch. Kroch unters Bett, um die Sprungfedern zu inspizieren. Tastete mit der Hand vorsichtig zwischen Sprungfedern und Matratze. Unter die Kissen. Zog das Bett wieder straff. Nichts. Im Lampenfuß? Nichts. Zwei gerahmte französische Poster an der Wand. Dahinter nichts. Das Papier schien unberührt. Es blieben nur der lange Wandschrank und die beiden Kommoden aus hellem dänischen Holz.
Zuerst versuchte er es mit dem Schrank. Zwei breite Falttüren, die sich wie eine Ziehharmonika zusammenschieben ließen. Das tat er und riß vor Erstaunen die Augen weit auf. Er selbst war schon ein ordnungsliebender Mensch, aber verglichen mit Blank war er ein Stümper. Wie die Dinge hier in Blanks Schrank angeordnet waren, das hatte schon etwas - ja, Mechanisches.
Auf dem oberen Bord lag die Wäsche: Bett- und Kopfkissenbezüge, Badelaken, Frotteehandtücher, Badematten, Handtücher, Geschirrtücher, Waschlappen, Servietten, Tischdecken, Laken, Matratzenauflagen und ein Stapel von schweren Tüchern, deren Zweck Delaney nur ahnen konnte - möglicherweise Schonbezüge für die Möbel, falls er einmal länger abwesend war.
Am unfaßlichsten aber war die Präzision, mit der die einzelnen Stapel geschichtet waren. Hatte er eine militärisch geschulte Aufwartefrau, oder war Blank es selbst gewesen? Und diese Farben! Weiße Bezüge und Laken gab es überhaupt nicht, sondern alles war in schreienden Farben gehalten, mit Blumendekor oder abstrakten Mustern: Farben, die den Augen geradezu weh taten. Wie ließ sich diese Extravaganz mit der schwarzweißen Sterilität des Wohnzimmers in Einklang bringen?
Auf der Stange links die Sommersachen, rechts die Winterkleidung.
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