Die erste Todsuende
Augenblick später kam, leer. Er drückte auf die 21 und hörte plötzlich leise Musik. Die Tür öffnete sich auf dem 21. Stock. Er drückte auf den Knopf „Erdgeschoß" und sprang dann rasch hinaus, ehe die Türen sich wieder schlossen.
Der Gang war leer. Er zog seine pelzgefütterten Lederhandschuhe aus und stopfte sie in die Manteltasche. Dann streifte er die schwarzen Seidenhandschuhe über. Auf dem Weg zu Blanks Apartment wischte er mit Hacken und Sohlen kräftig über den Teppichboden in der Hoffnung, daß jeglicher Schmutz abging, damit er in der Wohnung nicht womöglich irgendwelche Spuren hinterließ.
An der Wohnungstür drückte er zweimal auf die Klingel und hörte es drinnen leise läuten. Er wartete einen Augenblick. Niemand kam. Er machte sich an die Arbeit.
Mit zweien von den Schlüsseln hatte er keinerlei Schwierigkeiten; doch beim dritten Schloß, der einbruchssicheren Vorlegestange, dauerte es etwas länger. Seine Hände waren zu groß, als daß er durch den Spalt der bereits ein wenig offenstehenden Tür hätte hineinlangen und die diagonal verlaufende Stange aus ihrer Halterung hätte lösen können. Mit Hilfe der Zange gelang es ihm schließlich, die Stange aus ihrem Schlitz herauszuheben, und die Tür ging auf.
Er trat ein und schloß sie behutsam hinter sich. Rasch eilte er durch die Wohnung, machte Schranktüren auf, warf einen Blick hinein, schloß sie wieder. Selbst hinter dem Duschvorhang und unter dem Bett sah er nach.
Der nächste Schritt war zwar lächerlich, gehörte jedoch zu den Grundregeln. War also vielleicht doch nicht so lächerlich. Es war schon vorgekommen, daß ein Kriminalbeamter in der falschen Wohnung das Unterste zuoberst gekehrt hatte. Delaney machte sich auf die Suche nach Zeitschriften, die einen Abonnementsvermerk trugen, nach Briefen... irgend etwas. Im Bücherregal fand er Fachliteratur über Computer-Technik. Jedes einzelne Buch trug, fein säuberlich aufs Vorsatzblatt geklebt, ein scharf gestochenes Ex-Libris mit einer nackten Jünglingsgestalt, die mit Pfeil und Bogen über eine Waldlichtung sprang. „Ex-Libris. Daniel G. Blank." Das genügte.
Er ging wieder zur Wohnungstür zurück, lehnte sich einen Augenblick dagegen und machte dann einen gemächlichen Rundgang durch das Apartment: nur um die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen, um zu begreifen, was für ein Mensch hier lebte.
Aber lebte hier in diesen sterilen Operationsräumen überhaupt jemand? Keine Zigarettenkippen, keine herumliegenden Zeitungen, keine Gerüche, keine Fotos, keine persönlichen Erinnerungsgegenstände, kein benutztes Weinglas, kein Fleck auf den Wänden, kein Riß in der Decke. Es war alles so aseptisch, daß er es kaum fassen konnte. Einfach überwältigend. Diese kalte Ordnung und Sauberkeit. Sitzgelegenheiten aus schwarzem Leder und Chrom. Kristallaschenbecher genau an den richtigen Stellen. Ein eisener Kerzenhalter mit Kerzen, die alle verschieden weit heruntergebrannt waren.
Er dachte an sein eigenes Zuhause, das er und Barbara für sich und ihre Familie geschaffen hatten. Ein Blick genügte, und man hätte eine Biographie über Edward X. Delaney schreiben können - doch wer war Daniel Blank? Dieser Ausstellungsraum eines Innenarchitekten, diese Musterwohnung verriet nichts, gar nichts. Es sei denn...
Der sehr schräg geneigte Spiegel auf der Diele, schön gerahmt. Die große Wohnzimmerwand, auf der mindestens fünfzig kleine Spiegel in unterschiedlichsten Formen hingen, jeder mit einem anderen Rahmen. An der Schlafzimmertür ein mannshoher Spiegel, genauso an der inneren Badezimmertür. Die beiden Schiebetüren des Medizinschränkchens ebenfalls aus Spiegelglas. Sagte diese Fülle von Spiegeln etwas über den Menschen aus, der hier wohnte?
Hinter den Schiebetüren des Schränkchens im Badezimmer fand er duftende Seifen, Hautöl, Parfüm, Eau de Cologne und Lotion, Salben, Puder, Deodorants, und Sprays. Ein Röhrchen Aspirin. Ein fast volles Fläschchen mit Librium. Ein Heftchen mit ihm unbekannten Pillen. Eine Röhre Vitamin-Tabletten. Rasierapparat. Vorsichtig schob er die Tür wieder zu. Ob das Toilettenpapier auch mit Duft versetzt war? Ja, es war. Er warf einen Blick auf die Uhr. Zehn Minuten waren herum.
Wieder kehrte er zur Wohnungstür zurück; er bemühte sich, leise zu gehen, damit der Mieter in der Wohnung darunter keine Schritte hörte und sich wunderte, wer wohl um diese Stunde in Blanks Apartment sein mochte.
Er knipste die Deckenbeleuchtung an und
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