Die erste Todsuende
„das haben Sie einfach gut gemacht."
Sie sah ihn an.
„Sie sind schrecklich", flüsterte sie. „Ich bin noch nie jemand so Schrecklichem begegnet."
„Bin ich das?" fragte er. „Schrecklich und verachtenswert - alles an einem Abend. Nun... ich bin eben Polizist."
„Ich will Sie nie wiedersehen! Niemals!"
„Na schön", sagte er traurig. „Gute Nacht und vielen Dank."
Der Captain stopfte die Hände in die Manteltaschen und bemühte sich, nicht darüber nachzudenken, was er Monica Gilbert angetan hatte. Mit resoluten Schritten ging er zu Blanks Hochhaus und betrat die Eingangshalle. Gott sei Dank hatte Lipsky keinen Dienst.
„Ich habe hier einen Brief für Daniel Blank", sagte er zu dem Pförtner. „Könnten Sie ihn bitte in sein Fach legen? Der Brief ist nicht eilig. Es genügt, wenn er ihn morgen früh bekommt."
Delaney gab ihm zwei Vierteldollarstücke und reichte ihm den weißen, an Daniel G. Blank adressierten Umschlag mit den Weihnachtsgrüßen von Roger Kope und Familie.
46
Nach dem Anruf von Monica Gilbert hatte Daniel Blank den Hörer fallen lassen. Keuchend irrte er durch die Wohnung, der Schrei saß in seiner Kehle, drohte ihn zu ersticken, ging endlich in ein Schluchzen und Stöhnen über, ein Seufzen, Schlucken, Husten. Tränen schössen ihm in die Augen. Im Schlafzimmer preßte er die Stirn gegen den mannshohen Spiegel und starrte in sein fremdes, verzerrtes, wie aufgerissenes Gesicht.
Als er sich beruhigte, voller Angst, daß die Nachbarn sein Schreien gehört hatten, ging er an den Apparat im Schlafzimmer. Er wollte Celia Montfort anrufen und sie fragen: „Warum hast du mich verraten?" Doch beim Wählen war ein merkwürdiges Geräusch in der Leitung, und ihm fiel ein, daß der Apparat im Wohnzimmer heruntergefallen war. Er legte auf, ging ins Wohnzimmer und legte auch dort den Hörer auf die Gabel. Er beschloß, Celia nicht anzurufen. Was sollte sie schon sagen?
Noch nie hatte er so sehr das Gefühl des Zerfalls, der Auflösung gehabt. Seinem Selbsterhaltungstrieb gehorchend, zog er sich aus, sah nach, ob alle Fenster und Türen fest verschlossen waren, drehte das Licht aus und glitt nackt unter die Bettdecke. Er wälzte sich hin und her, bis das seidene Bettuch und die Wolldecke sich ganz eng um ihn gewickelt hatten und ihn - wie eine Mumie - fest umschlossen.
Alles in seinem Kopf wirbelte, und er hatte das Gefühl, er werde für immer wach bleiben, in die Dunkelheit hinausstarren und nachdenken. Doch merkwürdigerweise schlief er sehr rasch ein: Er fiel in einen tiefen, traumlosen Schlummer, mehr Koma als Schlaf, schwer und bedrückend. Er erwachte um 7 Uhr 18 am nächsten Morgen und fühlte sich wie zerschlagen. Seine Augen waren verklebt; er merkte, daß er im Schlaf geweint hatte.
Doch an die Stelle der Panik des Vortages war nun Lethargie getreten, eine gewisse Gleichgültigkeit. Auch nachdem er gebadet, sich rasiert, angezogen und gefrühstückt hatte, befand er sich noch immer in einer Welt, in der es keine Gedanken gab, als ob sein strapaziertes Gehirn gesagt habe: „Genug jetzt!" und sich standhaft weigere, irgendwelche Ängste, Hoffnungen, Leidenschaften, Visionen und Begierden zur Kenntnis zu nehmen. Auch körperlich war er wie benommen; sein Puls schien langsamer zu gehen als sonst, er konnte kaum die Glieder rühren. Fertig angezogen saß er wie ein Schauspieler, der auf sein Stichwort wartet, still im Wohnzimmer und starrte die spiegelbehangene Wand an, froh, überhaupt zu existieren und zu atmen.
Das Telefon klingelte zweimal im Abstand von etwa einer Stunde, aber er nahm nicht ab. Seine Firma. Oder Celia Montfort. Oder... sonst irgend jemand. Er ging nicht an den Apparat, sondern saß steif in einer Art Todesstarre da; nur seine Augen wanderten über die spiegelbehangene Wand. Er brauchte diese Zeit des Friedens, der Stille, des Nichtdenkens. Vielleicht döste er sogar ein wenig in seinem Eames-Sessel, aber es war nicht wichtig.
Am frühen Nachmittag schreckte er hoch, sah auf die Uhr; es schien 2 Uhr 18 zu sein. Schon möglich; er war bereit, es zu akzeptieren. Unbestimmt dachte er daran, daß er an die frische Luft gehen und einen Spaziergang machen sollte.
Doch weiter als bis in die Eingangshalle hinunter kam er nicht. Er ging an den verschlossenen Briefkästen vorbei. Die Post war ausgetragen worden, aber das war ihm gleichgültig. Irgendwelche verspäteten Weihnachtsgrüße. Und Rechnungen. Und... ach, es lohnte sich nicht, darüber nachzudenken. Hatte
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