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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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Gilda ihm dieses Jahr eigentlich eine Weihnachtskarte geschickt? Er konnte sich nicht erinnern. Er hatte ihr jedenfalls keine geschickt, da war er ganz sicher.
    Charles Lipsky hielt ihn auf.
    „Eine Nachricht für Sie, Mr. Blank", sagte er strahlend. „In Ihrem Fach." Und damit trat er hinter den Tisch.
    Plötzlich ging Blank auf, daß er den Pförtnern dieses Jahr überhaupt nichts zu Weihnachten gegeben hatte, und dem Garagenwärter und seiner Reinmachefrau auch nicht. Oder doch? Hatte er Celia ein Weihnachtsgeschenk gekauft? Er konnte sich nicht erinnern. Warum verriet sie ihn?
    Er betrachtete den schlichten weißen Umschlag, den Lipsky ihm reichte. „Mr. Daniel G. Blank." Ja, so hieß er. Das wußte er.

    Plötzlich hielt er es für besser, doch keinen Spaziergang zu machen - jedenfalls nicht jetzt. Er würde es nie schaffen. Er wußte, daß er es nie schaffen würde.
    „Danke", sagte er zu Lipsky. Ein komischer Name - Lipsky. Er drehte sich um, fuhr mit dem Fahrstuhl wieder nach oben.
    Nachdem er die Tür hinter sich verschlossen und verriegelt hatte, lehnte er sich mit dem Rücken dagegen und riß langsam den weißen Umschlag auf. Weihnachtsgrüße von der Familie Kope. Ah, ja. Warum hatte sie ihn verraten? Was für einen Grund konnte sie haben, wo doch alles, was er getan hatte, auf ihr sanftes Zureden und ihre weise Belehrung hin geschehen war?
    Unverzüglich ging er ins Schlafzimmer, zog die Schublade heraus und riß den Umschlag ab. Die Andenken waren ein törichter Fehler gewesen, dachte er träge, aber bis jetzt war ja noch kein Schaden angerichtet worden. Niemand hatte sie an sich genommen, niemand sie gesehen.
    Er holte aus der Küche eine Schere und schnitt Lombards Führerschein, Gilberts Firmenausweis, Kopes Etui und Feinbergs Rosenblätter in lauter kleine Stückchen, schnitt und schnitt und schnitt. Dann warf er die Schnipsel ins Klo und spülte sie hinunter, daß auch wirklich alles verschwand, und zog zur Vorsicht noch zweimal.
    Damit blieb nur noch die Dienstmarke. Blank setzte sich aufs Bett, drehte das Metall in seiner Hand hin und her und überlegte wie im Traum, wie er es am besten loswurde. Er konnte die Marke in den Müllschlucker werfen, doch vielleicht verbrannte sie unten in der Anlage nicht, wurde nur schwarz, blieb aber dennoch leserlich und mochte irgendwen zum Nachdenken anregen. Sie aus dem Fenster werfen? Unsinn! Das beste wäre, sie in den Fluß zu werfen, aber der Weg dorthin war weit. Vielleicht beobachtete ihn jemand. Das Nächstliegende war das Beste. Er würde die Dienstmarke in eine kleine braune Papiertüte stecken, etwa zwei Straßenblocks weit gehen und sie dort an der Ecke in einen Abfallkorb werfen. Dort würde sie die Müllabfuhr abholen, sie würde in einem von diesen Müllwagenmonstern verschwinden und auf eine Halde oder in ein Erdloch in Brooklyn gekippt werden. Ausgezeichnet. Er kicherte leise.
    Er zog Handschuhe an, wischte die Dienstmarke mit einem ölgetränkten Lappen ab und ließ sie in eine kleine braune Papiertüte fallen. Er zog seinen Mantel an; die Tüte kam in die rechte Tasche. In der linken Hand, die er durch den Schlitz im Mantel gesteckt hatte, hielt er den Eispickel - warum, hätte er nicht zu sagen vermocht.
    Er ging zur 3rd Avenue hinüber und wandte sich dort nach Süden. An der nächsten Ecke war ein Abfallkorb. Wie von ungefähr drehte er sich um und blickte die Straße und den Bürgersteig entlang. Kein Polizist. Kein Streifenwagen oder irgendwas, das nach einem Polizeiauto ausgesehen hätte. Offenbar auch nirgendwo ein Polizist in Zivil. Nur das übliche Menschengewühl von Manhattan, das die Straße hinuntertrieb: Hausfrauen und Büroangestellte, Hippies und Huren, Händler und Geistliche.
    Rasch näherte er sich dem Abfallkorb, zog die braune Tüte aus der Tasche und steckte sie tief nach unten zwischen andere Tüten, alte Zeitungen, eine tote Ratte - Abfall einer lebendigen Stadt. Rasch blickte er sich um. Niemand beobachtete ihn; jeder war mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt.
    Er machte kehrt und eilte nach Hause zurück. Er lächelte. Das Einfachste und Nächstliegende war doch immer das Beste.
    Das Telefon klingelte, als er die Wohnung betrat. Er ließ es klingeln und ging nicht an den Apparat. Er hängte den Mantel weg und stellte den Eispickel an seinen Platz. Dann mixte er sich einen wunderbaren Wodka-Martini, rührte ihn endlos um, summte vor sich hin und trug das Glas ins Wohnzimmer, wo er sich der Länge nach auf der

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