Die erste Todsuende
und ich komme nicht so oft zu Ihnen rauf, wie ich wohl möchte."
„Ich habe Ihre Analyse der Festnahmen und die Prozentsätze der Überführungen gelesen."
„Wirklich?" rief Johnson ehrlich erfreut. „Dann sind Sie bestimmt der einzige."
„Nun mal langsam, Ben", erhob Thorsen Einspruch. „Ich habe sie auch gelesen."
„Unsinn", spöttelte der Schwarze. „Angelesen vielleicht und den Schluß."
„Ich schwöre, daß ich jedes Wort gelesen habe."
„Ich wette fünf zu eins, daß Sie das nicht getan haben - ich könnte Ihnen Fragen stellen, die beweisen, daß ich recht habe."
„Die Wette gilt."
„Jetzt machen Sie sich einer Gesetzesübertretung schuldig", mischte Delaney sich prompt ein. „Ich kann Sie beide verhaften lassen. Wegen Vergehens gegen die Glücksspielgesetze."
„Nichts zu machen." Johnson schüttelte den großen Kopf. „Das Gericht hat festgestellt, daß eine Wette zwischen zwei Gentlemen nicht nach den für das Glücksspiel geltenden Bestimmungen verfolgt werden darf. Nachzulesen in Harbiner gegen City ofNew York. "
„Sehen Sie sich mal Plessy gegen Novick an", hielt Delaney ihm entgegen. „Das Gericht befand, Wettschulden können nicht eingeklagt werden, weil die Wette selbst ungesetzlich ist."
„Kommen Sie, kommen Sie!" stöhnte Thorsen. „Ich habe Sie nicht hergebeten, damit Sie hier die Advokaten spielen." Mit einer Handbewegung forderte er die beiden auf, in den Klubsesseln Platz zu nehmen, und ließ sich selbst auf einem Schreibtisch mit Glasplatte nieder. Dann betätigte er die Sprechanlage. „Alice, bitte, halten Sie mir alle Anrufe vom Leib - bis auf Notfälle."
Inspector Johnson wandte sich Delaney zu und betrachtete ihn neugierig.
„Was halten Sie denn von meinem Bericht, Edward?"
„Die Statistiken waren ein Schock für mich, Inspector, und die..."
„Wissen Sie, Edward, wenn Sie mich Ben nennen, würde ich bestimmt nicht auf den Gedanken kommen, mich wegen Insubordination über Sie zu beschweren."
„Schön, Ben. Nun ja... die Statistiken waren ein Schock, und ihre Analyse fand ich glänzend, nur mit den Schlußfolgerungen, die Sie gezogen haben, kann ich mich nicht einverstanden erklären."
„Womit können Sie sich nicht einverstanden erklären?"
„Nehmen wir mal an, daß auch nur fünf Prozent aller Festnahmen von Schwerverbrechern dazu führen, daß die Verhafteten am Ende auch verurteilt werden. Daraus ziehen Sie den Schluß, daß wir - die Männer im Außendienst - weniger, dafür aber hieb- und stichfestere Verhaftungen vornehmen sollten, mit denen wir vor Gericht auch durchkämen. Übersehen Sie dabei aber nicht die abschreckende Wirkung der Festnahmen an sich, selbst wenn wir wissen, daß die Beweise nicht ausreichen werden? Vielleicht wird der Verhaftete nicht verurteilt; wenn er aber einmal in die Mühle kommt und eine Zeitlang in Untersuchungshaft schmort, so lange, bis er seine Kaution zusammenbringt - falls er das kann - und darüber hinaus noch die Ausgaben des Anwalts für einen Tag vor Gericht zu zahlen hat — vielleicht überlegt er sich's dann doch zweimal, ehe er wieder strauchelt."
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht", knurrte Johnson. „Der abschreckenden Wirkung war ich mir durchaus bewußt, als ich den Bericht schrieb. Offen gestanden teile ich Ihre Ansicht sogar. Aber wenn ich den Schluß gezogen hätte, daß man noch mehr Verhaftungen vornehmen sollte — egal, ob man damit vor Gericht durchkäme oder nicht -, wenn ich Razzien unter Prostituierten, Herumtreibern, Homosexuellen und Spielern vorgeschlagen hätte - wissen Sie, was dann passiert wäre? Irgend so ein Radikalinski im Präsidium hätte den Bericht heimlich an die Presse gegeben, wir hätten sämtliche Bürgerrechtsgruppen auf dem Hals und würden wieder mal „Faschistenschweine" geschimpft werden."
„Wollen Sie damit sagen, Sie hätten Ihre Überzeugungen aus derartigen Gründen verleugnet?"
„Stimmt", erklärte Johnson sanft.
„Sind Public Relations denn so wichtig?"
„O ja. Ihr Revier ist Ihre Welt. Meine Welt, das ist das Büro des Commissioner und, in der Verlängerung davon, das des Bürgermeisters."
Delaney blickte den großen Schwarzen starr an. Inspector Johnson gehörte zum Stab des Commissioner und war für Statistiken und Analysen zuständig. Er war ein Riese, ehemaliger Footballspieler vom Rutgers-College. Mittlerweise war er fett geworden, doch das Ergebnis war nicht unangenehm; er hielt sich immer noch sehr gut, und seine mächtige Statur
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