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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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hätte drücken können, ein nacktes Stück Haut, frei von Nadeln, Schläuchen, Riemen und Bandagen. Er wollte ja nur ein Zeichen geben, nichts als ein Zeichen. Er neigte sich vor, um sie aufs Haar zu küssen, doch was er unter den Lippen spürte, waren Drähte.
    „Ich habe es erwähnt", sagte Dr. Bernardi und betrachtete seine Fingernägel. Dann blickte er auf und sah Delaney vorwurfsvoll an, der es offensichtlich wagte, das zu leugnen. „Sie werden sich gewiß erinnern, daß ich von einer Proteusinfektion sprach."
    Stumpf saß der Captain da und verlangte nach Schlaf wie ein Süchtiger nach der Droge.
    „Proteusinfektion?" Delaney wiederholte das Wort schwerfällig. „Woher wissen Sie das?"
    „Das hat die Untersuchung des Gewebes ergeben."
    „Und Sie meinen, Ihr Labor weiß mehr als Sie und Ihre Kollegen, die Sie doch die Diagnose stellten, meine Frau hätte Nierensteine?"
    Wieder legte sich jener undurchsichtige Schleier vor die glitzernden Augen des Arztes. Er versteifte sich und vollführte eine Geste, wie Delaney sie noch nie bei ihm gesehen hatte: Er steckte die Kuppe seines rechten Zeigefingers in das rechte Ohr, so daß der Daumen nach oben wies - wie jemand, der sich in den Kopf schießt.
    „Captain", schnurrte er mit seiner öligfen Stimme, „ich versichere Ihnen..."
    „Schon gut, schon gut." Delaney fegte die Entschuldigung beiseite. „Vergeuden wir doch nicht unsere Zeit. Was ist eine Proteusinfektion?"
    Bernardi strahlte wie immer, wenn er eine Gelegenheit hatte, mit seiner Gelehrsamkeit zu glänzen. Jetzt vollführte er die für ihn typische Geste, legte die Zeigefinger zusammen und preßte sie gegen die aufgeworfenen Lippen.
    „Proteus", begann er glücklich. „Ein griechischer Meeresgott, der seine Erscheinungsform nach Belieben ändern konnte. Daher der Name. Eine Infektion ist keine Krankheit - aber darüber möchte ich mich jetzt nicht weiter auslassen. Begnügen wir uns damit, daß die Proteusinfektion häufig Form, Erscheinungsbild und Symptome Dutzender anderer Infektionen und Krankheiten annimmt. Es ist sehr schwer, sie zu diagnostizieren."
    „Ist sie so selten?" fragte Delaney.
    „Proteus selten?" sagte der Arzt stirnrunzelnd. „Nein, das würde ich nicht sagen. Aber auch nicht besonders häufig. Viel Literatur gibt es nicht darüber. Dem bin ich heute morgen nachgegangen, und das ist der Grund, warum ich Sie nicht anrief. Ich habe alles gelesen, was ich über die Proteusinfektion finden konnte."
    „Wodurch entsteht sie?" fragte Delaney und bemühte sich, den Haß aus seiner Stimme herauszuhalten und genauso sachlich und frei von Gefühlen zu sein wie dieser Spaghettifresser.
    „Das habe ich Ihnen schon gesagt. Durch den Proteus-Bazillus. Proteus vulgaris. Wir tragen ihn alle in uns. Gewöhnlich im Verdauungskanal. Wir laufen ja alle mit zahllosen guten und schlechten mikroskopisch kleinen Lebewesen in uns herum, wie Sie wissen. Manchmal, für gewöhnlich nach einer Unterleibsoperation, gerät der Proteus-Bazillus in Aufruhr. Bricht aus und ruft gewisse Veränderungen im Blut hervor, die sich schwer genau bestimmen lassen. Es wird empfohlen, diese Infektion mit Antibiotika zu behandeln."
    „Was Sie versucht haben."
    „Richtig. Aber ich versichere Ihnen, Captain, ich habe nicht die ganze Bandbreite durchprobiert. Die sogenannten 'Wunderdrogen' sind so wunderbar nun auch wieder nicht. Die eine bringt einen ganz bestimmten Bazillus zur Strecke, fördert gleichzeitig aber auch das Wachstum eines anderen, noch virulenteren. Mit Antibiotika darf man nicht leichtfertig umgehen. Was Ihre Frau betrifft, so glaube ich, daß die Proteusinfektion durch die Hysterektomie ausgelöst wurde. Es wiesen aber alle Symptome auf Nierensteine hin, und unsere Untersuchungen und Durchleuchtungen haben nichts ergeben, was dieser Hypothese widersprochen hätte. Als Dr. Spencer den Eingriff vornahm, erkannten wir, daß eine Niere entfernt werden mußte. Unbedingt. Verstehen Sie?"
    Delaney gab keine Antwort.
    „Wir erkannten, daß immer noch Infektionsherde da waren, kleine und weit verstreute, denen man chirurgisch nicht beikommen kann. Jetzt fangen wir noch einmal an, hoffen aber, daß die Hauptquelle der Infektion beseitigt ist und wir der noch verbleibenden Herde durch Antibiotika Herr werden."
    „Hoffen, Doktor?"
    „Jawohl, Captain, hoffen."
    Die beiden Männer starrten einander an.
    „Sie wird sterben, nicht wahr, Doktor?"
    „Das würde ich nicht sagen."
    „Nein, natürlich

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