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Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules

Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules

Titel: Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sich.«
    Hercule Poirot schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, dass er sich irrte.
     
    Marie Hellin warf Poirot aus schlauen, kleinen Augen einen schnellen Blick zu und schaute dann ebenso schnell wieder fort. Ruhig und gelassen bestätigte sie:
    »Ich erinnere mich genau, Monsieur. Ich wurde von Madame Samoushenka in der letzten Juniwoche angestellt. Ihr früheres Mädchen war plötzlich fortgegangen.«
    »Haben Sie je gehört, warum dieses Mädchen fortgegangen ist?«
    »Sie ist plötzlich fortgegangen. Mehr weiß ich nicht. Vielleicht war es Krankheit – oder so irgendetwas. Madame hat nichts gesagt.«
    »War es einfach, mit Ihrer Herrin auszukommen?«, forschte Poirot.
    Das Mädchen zuckte die Achseln.
    »Sie war sehr launisch. Sie weinte und lachte abwechselnd. Manchmal war sie so deprimiert, dass sie weder essen noch sprechen wollte, und manchmal war sie ausgelassen und lustig. Diese Tänzerinnen sind so. Es gehört zu ihrem Temperament.«
    »Und Sir George?«
    Das Mädchen warf ihm einen schnellen, lauernden Blick zu.
    »Ah, Sir George Sanderfield? Sie möchten etwas über ihn erfahren? Vielleicht ist es das, was Sie wirklich wissen wollen? Das andere war nur eine Ausrede, wie? Ah, Sir George, über den könnte ich Ihnen ein paar sonderbare Geschichten erzählen – «
    Poirot unterbrach sie:
    »Das ist nicht nötig.« Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Zornige Enttäuschung sprach aus ihrem Gesicht.
     
    »Ich sage immer, dass Sie alles wissen, Alexis Pawlowitch.«
    Hercule Poirot flüsterte diese Worte in seiner einschmeichelndsten Stimme.
    Er überlegte im Stillen, dass diese dritte Arbeit des Herkules mehr Reisen und Unterredungen erforderte, als man es für möglich gehalten hätte. Diese kleine Angelegenheit einer verschwundenen Zofe erwies sich als eines der langwierigsten und schwierigsten Probleme, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Jeder Fingerzeig führte bei genauerer Prüfung ins Nichts.
    Die Sache hatte ihn an diesem Abend in das »Samovar Restaurant« in Paris geführt. Es gehörte einem Grafen Alexis Pawlowitch, der sich rühmte, alles zu wissen, was in der Theaterwelt vorging.
    Er nickte jetzt selbstgefällig.
    »Ja, ja, mein Freund, ich weiß – ich weiß immer. Sie fragen mich, wohin sie geraten ist – die kleine Samoushenka. Ja, diese Kleine, die war das Wahre.« Er küsste seine Fingerspitzen. »Welches Feuer – welche Hingabe! Sie hätte es weit gebracht – sie wäre die Primaballerina ihrer Zeit geworden. Und dann ist plötzlich alles aus, sie verkriecht sich am Ende der Welt – und bald, allzu bald, wird sie vergessen sein.«
    »Wo ist sie denn?«, erkundigte sich Poirot.
    »In der Schweiz. In Vagray-les-Alpes. Dorthin gehen sie – die mit dem kleinen, trockenen Husten, die immer dünner und dünner werden. Sie wird sterben, ja, sie wird sterben. Sie ist eine Fatalistin, sie wird bestimmt sterben.«
    Poirot hüstelte, um die tragische Stimmung zu unterbrechen. Er brauchte Informationen.
    »Sie erinnern sich nicht zufällig an eine Zofe, die sie hatte, Nita Valetta?«
    »Valetta, Valetta? Ich erinnere mich, eine Zofe gesehen zu haben – am Bahnhof, als ich Katrina zum Zug brachte, wie sie nach London fuhr. Sie war eine Italienerin, aus Pisa, nicht wahr? Ja, ganz gewiss, sie war eine Italienerin aus Pisa.«
    Hercule Poirot stöhnte: »In diesem Fall muss ich jetzt nach Pisa fahren.«
     
    Hercule Poirot stand in Pisa auf dem Friedhof und blickte auf ein Grab hinab.
    Hier also endete seine Suche – hier, an diesem schlichten Erdhügel. Darunter lag das fröhliche Geschöpf, das Herz und Sinne eines einfachen englischen Arbeiters betört hatte.
    War das vielleicht das beste Ende dieser plötzlichen, sonderbaren Liebesgeschichte? Nun würde das Mädchen ewig in der Erinnerung des Burschen leben, wie er sie während einiger weniger verzauberter Stunden im Juni vergangenen Jahres erlebt hatte. Der Zusammenprall verschiedener Nationalitäten, verschiedener Klassen, der Schmerz der Enttäuschung, all das war für immer ausgeschaltet.
    Hercule Poirot schüttelte betrübt den Kopf. Er dachte an seinen Besuch bei der Familie Valetta. An die Mutter mit dem breiten Bauerngesicht, an den aufrichtigen, gramgebeugten Vater, an die dunkle, dünnlippige Schwester.
    »Es war plötzlich, Signore, ganz plötzlich. Obwohl sie seit vielen Jahren ab und zu Schmerzen hatte… Der Doktor ließ uns keine Wahl – er sagte, sie müsste sofort am Blinddarm operiert werden. Er nahm sie auf der Stelle

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