Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
mussten. Ihr Gesichtsausdruck war abweisend. Als sie an Harold vorbeikamen, blieben ihre Blicke auf ihm haften. Es war ein sonderbar verächtlicher Blick – fast unmenschlich.
Harolds Eindruck von drohendem Unheil verstärkte sich; die Hand der einen fiel ihm auf, eine lange krallenartige Hand… Obwohl die Sonne wieder zum Vorschein gekommen war, überlief ihn abermals ein kleiner Schauer.
Grauenvolle Geschöpfe, dachte er. Wie Raubvögel…
Er wurde von diesen Vorstellungen abgelenkt, als Mrs Rice aus dem Hotel trat. Er sprang auf und zog einen Stuhl herbei. Sie dankte, setzte sich und begann wie gewöhnlich emsig zu stricken.
»Haben Sie die beiden Frauen bemerkt, die eben ins Hotel hineingegangen sind?«, fragte Harold.
»Mit Mänteln? Ja, ich bin an ihnen vorbeigegangen.«
»Merkwürdige Geschöpfe, nicht wahr?«
»Eigentlich – ja, sie sehen ein wenig sonderbar aus. Sie sind erst gestern angekommen, glaube ich. Sie sehen einander ungemein ähnlich. Es müssen Zwillinge sein.«
»Es ist vielleicht nur eine Einbildung von mir«, sagte Harold, »aber ich habe das deutliche Gefühl, dass etwas Unheilvolles an ihnen ist.«
»Wie sonderbar. Ich muss sie mir in diesem Fall näher betrachten, um zu sehen, ob ich denselben Eindruck wie Sie habe.«
Sie fügte hinzu: »Wir werden durch den Portier erfahren, wer sie sind. Vermutlich keine Engländerinnen?«
»O nein.«
Mrs Rice sah auf die Uhr. »Teezeit. Würden Sie so freundlich sein, hineinzugehen und zu klingeln, Mr Waring.«
Er tat es, und als er zu seinem Stuhl zurückkehrte, fragte er:
»Wo ist Ihre Tochter heute Nachmittag?«
»Elsie? Wir waren zusammen spazieren. Ein Stück um den See herum und dann durch den Tannenwald zurück. Es war wirklich wunderschön.«
Ein Kellner erschien und nahm die Bestellung entgegen. Mrs Rice fuhr fort, während ihre Stricknadeln flogen:
»Elsie hat einen Brief von ihrem Mann erhalten. Sie wird vielleicht nicht zum Tee herunterkommen.«
»Von ihrem Mann?« Harold war überrascht. »Wissen Sie, ich dachte immer, dass sie Witwe sei.«
Mrs Rice warf ihm einen raschen Blick zu und sagte trocken:
»O nein, Elsie ist nicht Witwe.« Sie fügte mit Nachdruck hinzu: »Leider.«
Harold war verblüfft.
Mrs Rice nickte grimmig und erklärte:
»Der Alkohol ist an vielem Unglück schuld, Mr Waring.«
»Trinkt er?«
»Ja. Und es ist nicht sein einziger Fehler. Er ist sinnlos eifersüchtig und jähzornig.« Sie seufzte. »Das Leben ist nicht leicht, Mr Waring. Ich liebe Elsie, sie ist mein einziges Kind – und es ist hart, sie leiden zu sehen.«
Harold sagte mit aufrichtiger Wärme:
»Sie ist ein so sanftes Geschöpf.«
»Vielleicht ein wenig zu sanft.«
»Sie meinen – «
»Ein glücklicher Mensch ist anspruchsvoller«, meinte Mrs Rice. »Elsies Sanftmut entspringt, glaube ich, einem Gefühl der Niederlage. Das Leben hat sie besiegt.«
Harold fragte zögernd:
»Wie – ist es dazu gekommen, dass sie diesen Mann geheiratet hat?«
»Philip Clayton ist ein sehr gut aussehender Mann«, gab Mrs Rice zurück. »Er hatte, wie auch heute noch, viel Charme, er war ziemlich wohlhabend – und es war niemand da, uns über seinen wahren Charakter aufzuklären. Ich war bereits viele Jahre verwitwet. Zwei allein stehende Frauen sind nicht die besten Beurteiler für den Charakter eines Mannes.«
»Ja, das ist wahr«, pflichtete Harold ihr bei.
Mitleid und Empörung wallten in ihm auf. Elsie Clayton konnte höchstens fünfundzwanzig Jahre alt sein. Er sah die treuherzigen blauen Augen vor sich, den wehmütigen Zug um den Mund. Er begriff plötzlich, dass sein Interesse ein wenig über einfache Freundschaft hinausging.
Und sie war an einen Rohling gefesselt…
An diesem Abend gesellte sich Harold zu Mutter und Tochter. Elsie Clayton trug ein liebliches mattrosa Kleid. Er bemerkte, dass ihre Augenlider gerötet waren. Sie hatte geweint.
Mrs Rice sagte lebhaft:
»Ich habe herausbekommen, wer Ihre beiden Harpyien sind, Mr Waring. Polnische Damen – aus sehr guter Familie, wie der Portier sagt!«
Harold blickte auf die andere Seite des Saals, wo die polnischen Damen saßen.
Elsie fragte interessiert:
»Die zwei Frauen dort drüben? Mit den rot gefärbten Haaren? Sie kommen mir irgendwie unheimlich vor – ich weiß nicht warum.«
»Ganz meine Meinung«, bestätigte Harold triumphierend.
Mrs Rice sagte lachend:
»Ich finde, ihr seid beide kindisch. Man kann vom bloßen Ansehen unmöglich Menschen
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