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Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules

Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules

Titel: Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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kommen und Sie hier finden.«
    Harold nickte. Er erfasste die Situation blitzschnell. Für den Augenblick war Philip Clayton außer Kampf gesetzt. Aber man hatte vielleicht Elsies Schrei gehört. Falls man ihn in ihrem Zimmer finden sollte, könnte das zu peinlichen Missverständnissen führen. Um ihrer beider willen musste ein Skandal vermieden werden.
    So geräuschlos wie möglich lief er den Gang entlang in sein Zimmer zurück.
    Dort wartete er fast eine halbe Stunde. Er wagte nicht, das Zimmer zu verlassen. Er war überzeugt, dass Elsie früher oder später kommen würde.
    Es pochte leise an seiner Tür. Er sprang auf, um zu öffnen. Aber es war nicht Elsie, die hereinkam, sondern ihre Mutter. Harold war entsetzt über ihr Aussehen. Sie schien plötzlich um Jahre gealtert. Ihr graues Haar war zerrauft, und sie hatte tiefe dunkle Ringe unter den Augen.
    Er sprang auf und bat sie, Platz zu nehmen. Sie setzte sich nieder und rang nach Atem.
    Harold sagte schnell:
    »Sie sehen völlig erledigt aus, Mrs Rice. Kann ich Ihnen etwas kommen lassen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein. Kümmern Sie sich nicht um mich. Mir fehlt nichts. Es ist nur der Schock. Mr Waring, es ist etwas Furchtbares geschehen.«
    »Ist Clayton verletzt?«, stieß Harold hervor.
    Sie schluchzte trocken:
    »Schlimmer noch. Er ist tot…«
     
    Das Zimmer drehte sich um ihn.
    Ein Gefühl, als würde ihm eiskaltes Wasser den Rücken hinabrieseln, verschlug Harold einige Augenblicke die Sprache.
    »Tot?«, wiederholte er dumpf.
    Mrs Rice nickte.
    Sie sagte mit der tonlosen Stimme völliger Erschöpfung:
    »Die Ecke des marmornen Briefbeschwerers traf ihn genau an der Schläfe, und als er rückwärts stürzte, schlug er mit dem Kopf auf das eiserne Kamingitter. Ich weiß nicht, was ihn tötete – aber jedenfalls ist er tot. Ich weiß es. Ich habe den Tod zu oft gesehen.«
    Katastrophe – das war das Wort, das hartnäckig in Harolds Kopf kreiste. Katastrophe – Katastrophe – Katastrophe…
    Er sagte heftig:
    »Es war ein Unglücksfall. Ich war dabei.«
    Mrs Rice sagte scharf:
    »Natürlich war es ein Unglücksfall. Ich weiß es. Aber, aber wird jemand anderer es auch glauben? Offen gestanden, ich habe Angst, Harold! Wir sind nicht in England.«
    »Ich kann Elsies Aussage bestätigen«, sagte Harold.
    »Ja«, meinte Mrs Rice, »und sie kann die Ihre bestätigen. Das – das ist es ja eben.«
    Harold, der von Natur aus einen scharfen und umsichtigen Verstand hatte, sah, was sie meinte. Er überflog im Geist schnell die Sachlage und erfasste die Schwäche ihrer gemeinsamen Position.
    Er und Elsie hatten ein gut Teil ihrer Zeit zusammen verbracht. Dann musste man in Betracht ziehen, dass eine der Polinnen sie in einer eher kompromittierenden Situation zusammen im Wald gesehen hatte. Die polnischen Damen sprechen zwar anscheinend nicht Englisch, aber vielleicht konnten sie trotzdem ein paar Worte verstehen. Die Frau konnte Worte wie »Eifersucht« und »mein Mann« verstanden haben, wenn sie ihr Gespräch zufällig gehört hatte. Jedenfalls hatte eine Bemerkung von ihr Claytons Eifersucht entfacht. Und nun – sein Tod. Als Clayton starb, war er, Harold, in Elsies Zimmer gewesen. Es lag kein Beweis vor, dass er Philip Clayton nicht absichtlich mit dem Briefbeschwerer angegriffen hatte, noch dass der eifersüchtige Ehemann sie nicht tatsächlich zusammen ertappt hatte. Sie hatten nur sein und Elsies Wort. Aber würde man ihnen glauben?
    Kalte Angst packte ihn.
    Er glaubte nicht – nein, er glaubte wirklich nicht, dass er oder Elsie in Gefahr waren, wegen eines Mordes zum Tode verurteilt zu werden, den sie nicht begangen hatten. Jedenfalls konnte man sie nur wegen Totschlages anklagen. (Unterschieden sie in diesen fremden Ländern zwischen Mord und Totschlag?) Aber sollte man sie auch von jeder Schuld freisprechen, so würde eine Untersuchung stattfinden müssen – es würde in allen Zeitungen stehen. »Ein Engländer und eine englische Frau angeklagt – eifersüchtiger Eh e mann – aufstrebender Polit i ker.« Ja, es wäre das Ende seiner politischen Karriere. Sie konnte einen derartigen Skandal nicht überstehen.
    Er sagte, einem Impuls folgend:
    »Können wir die Leiche nicht irgendwo loswerden? Sie irgendwie wegschaffen?«
    Mrs Rices erstaunter und verächtlicher Blick trieb ihm das Blut in die Wangen. Sie sagte schneidend:
    »Mein lieber Harald, das ist kein Kriminalroman! Ein solcher Versuch wäre Wahnsinn.«
    »Sie haben Recht, gewiss.« Er

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