Die Erwaehlten
zu Hause ankamen, waren sie triefend nass geworden.
Melissa war sich nie ganz sicher gewesen, was sie mit einem Blitz anfangen sollten, wenn sie einen gefunden hätten. Rex hatte nie viel dazu gesagt. Sie konnte fühlen, dass er sich selbst auch nicht ganz sicher war. Aber er hatte auf einer seiner Touren irgendwo was gelesen.
Schule kam näher. Wenn allmorgendlich Ehrgeiz und Verstand aufeinanderprallten, wuchs Beigeschmack sich zum Getöse aus, die Bitterkeit auf ihrer Zunge schwoll an, bis eine Kakophonie ihr ganzes Hirn attackieren würde. Melissa wusste, dass sie bald ihre Kopfhörer aufsetzen musste, um wenigstens bis zum Unterrichtsbeginn durchzuhalten. Sie verringerte das Tempo des alten Fords. So nah heranzufahren war immer anstrengend, am Anfang des Schuljahres erst recht. Sie hoffte, dass ihr Parkplatz hinter einem Müllcontainer auf einem freien Gelände gegenüber der Bixby High wie üblich frei war. Um irgendwo anders zu parken, musste sie denken. Der Parkplatz der Schule lag so dicht am Mahlstrom, dass sie dort nicht heil ankommen würde.
„Ich hasse diesen Ort“, stieß sie hervor.
Rex sah sie an. Seine klaren, zielstrebigen Gedanken erleichterten die Dinge kurz für sie, und sie konnte tief durchatmen.
„Das hat alles seinen Sinn“, sagte er.
Welchen Sinn sollte es haben, dass sie so war? Dass sie täglich diese Qualen durchmachte? „Klar. Damit mein Leben scheiße wird.“
„Nein. Einen wirklich wichtigen.“
„Danke.“ Unter ihnen quietschte die Aufhängung des Fords, als sie zu scharf um die Ecke bog. Rex zuckte innerlich, aber nicht wegen ihres Fahrstils. Er wollte sie nicht verletzen, das wusste sie.
„Damit wollte ich nicht sagen, dass dein Leben …“
„Egal“, unterbrach ihn Melissa. „Mach dir nichts draus, Rex. Ich kann die Schule am Jahresanfang einfach nicht ausstehen. Zu viel Melodramatik, und bis zum Anschlag aufgedreht.“
„Klar, ich weiß, was du meinst.“
„Nein, weißt du nicht.“
Der Parkplatz war frei und sie bog ein, stellte das Radio ab und verlangsamte das Tempo. Melissa wusste, dass sie fast zu spät kamen – die Meute, die in das Gebäude strömte, war aufgewühlt, nervös. Eine Flasche zersplitterte unter ihren Reifen, als der Wagen zum Stehen kam. Manchmal schlichen Schüler in der Mittagspause hier rüber, um Bier zu trinken.
Rex wollte fragen, aber sie war schneller.
„Ich habe sie gestern Nacht gespürt. Das neue Mädchen.“
„Ich wusste es“, sagte er und schlug auf das Armaturenbrett. Seine Erregung durchdrang den Schullärm wie ein klares, reines Zeichen.
Melissa lächelte. „Nein, wusstest du nicht.“
„Okay“, gab Rex zu. „Aber ich war mir zu 99 Prozent sicher.“
Melissa nickte, stieg aus und zog ihre Tasche hinter sich her. „Du hattest entsetzliche Angst, dass du falschliegen könntest. Weshalb ich wusste, wie sicher du warst.“ Rex blinzelte, ihre Logik leuchtete ihm nicht ein. Melissa seufzte. Nachdem sie sich jahrelang seine Gedanken angehört hatte, wusste sie einiges über Rex, was ihm selbst nicht klar war. Dinge, die er vermutlich nie verstehen würde.
„Stimmt aber, sie war gestern Nacht draußen“, erzählte sie weiter. „Wach und …“ Noch irgendwas. Sie wusste nicht genau was. Dieses neue Mädchen war anders.
Als sie auf die Bixby High zugingen, läutete es zum letzten Mal. Das Geräusch besänftigte das Gebrüll in Melissas Kopf immer, dämpfte es zu einem leisen Rumpeln, wenn Lehrer Ordnung herzustellen versuchten und wenigstens einige Schüler versuchten, sich zu konzentrieren. Während des Unterrichts konnte sie fast normal denken.
Sie erinnerte sich an die vergangene Nacht, in der ehrfürchtigen Stille der blauen Zeit. Mitten in der Nacht musste sie auch noch mit dem Lärm von Träumen und Albträumen zurechtkommen, nur in der geheimen Stunde war es absolut still. Nur zu dieser Zeit fühlte sich Melissa ganz, vollkommen frei vom Daylightchaos. Nur an diesem einen Teil des Tages hatte sie tatsächlich das Gefühl, ein besonderes Talent zu besitzen, das eine Gabe war, und kein Fluch.
In dem Moment, als er am ersten Schultag in die Cafeteria kam, hatte Melissa gewusst, was Rex von ihr wollte. In dieser Woche war sie jede Nacht aus ihrem Fenster auf das Dach geklettert. Auf der Suche.
Es konnte ein paar Tage dauern, bis man zum ersten Mal aufwachte. Sie wusste auch nicht, wo das neue Mädchen wohnte. Bei Dess hatte sie lange gebraucht, bis sie ihre Spur gefunden hatte, dort draußen am wilden
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