Die Erwaehlten
lästige Sperrstunde“, formulierte Constanza.
„Sperrstunde?“, fragte Jessica.
„Genau.“ Jen rollte mit den Augen. „Oben in Tulsa, oder sogar drüben im Broken Arrow County, kannst du so lange draußen bleiben, wie du willst. In Bixby hast du aber nach elf Uhr Hausarrest. Bis du über achtzehn bist. Findest du das nicht seltsam?“
„Das ist nicht seltsam, das ist einfach peinlich“, sagte Liz.
„In Bixby ist alles seltsam.“
„In Bixby ist alles peinlich. “
„Findest du Bixby nicht seltsam, Jessica?“, fragte Jen.
„Na ja, eigentlich nicht. Mir gefällt es hier.“
„Du machst Witze“, sagte Liz. „Obwohl du aus Chicago kommst?“
„Doch, es ist nett hier.“ Jessica fühlte sich komisch, als sie das sagte, aber es stimmte. Heute Morgen war sie jedenfalls glücklich gewesen. Aber die vier anderen Mädchen sahen sie ungläubig an. „Ich schätze, es gibt ein paar seltsame Sachen in Bixby. Wie das Wasser. Es schmeckt komisch. Aber das wisst ihr ja schon.“
Die anderen starrten sie ausdruckslos an.
„Na ja, ich denke, wenn ich mich mal dran gewöhnt habe …“ hob Jessica an.
„Wie steht es mit der Schlangengrube?“, unterbrach sie Maria.
Für einen Moment verfiel der Tisch in Schweigen. Jessica sah, wie Ms Thomas aufblickte, da die plötzliche Stille ihr Interesse geweckt hatte, dann wandte sie sich wieder ihrem Bildschirm zu.
Constanza nickte. „Nummer drei: Schlangengrube.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Also gut“, sagte Jessica. „Ich nehme mal an, ihr würdet diese Schlangengrube eher unter seltsam als unter peinlich ablegen?“
„Genau“, antwortete Liz. „Zumindest wenn man an so ein Zeug glaubt.“
„Was für ein Zeug?“, fragte Jessica.
„Idiotische Legenden“, sagte Liz. „Wie zum Beispiel der Panther, der hier angeblich lebt.“
„Er ist aus einem Zirkus entwischt, der vor langer Zeit hier durchgekommen ist“, erklärte Jen. „Es gibt Zeitungsausschnitte darüber in der Bibliothek, aus der Bixby-Chronik der 1930er Jahre oder so.“
„Hast du die Artikel wirklich gelesen?“, fragte Liz.
Jen verdrehte ihre Augen. „ Ich vielleicht nicht, aber alle …“
„Und dieser Panther ist so ungefähr achtzig Jahre alt?“, unterbrach Liz.
„Na ja, vielleicht waren es nicht die 1930er …“
„Egal“, sagte Liz und wandte sich an Jessica. „Die Schlangengrube ist einfach nur so eine peinliche Stelle, wo man alte Pfeilspitzen findet. Von den Indianern. Große Sache.“
„Wir heißen Native Americans“, korrigierte Constanza.
„Das hier ist aber aus den richtig alten Zeiten“, sagte Maria, „bevor die Anglos all die anderen Stämme aus dem Osten hierhergebracht haben. Es war ein Dorf, wo die Ureinwohner von Oklahoma gelebt haben – Steinzeit-Höhlenbewohner, nicht die Native Americans, die heute hier leben.“
„Ihr habt recht, das ist nicht peinlich“, meinte Jessica. „Aber Bixby in der Steinzeit ist ziemlich schwer vorstellbar.“
„Es sind nicht nur Pfeilspitzen“, erklärte Jen ernsthaft. „Es gibt da diesen großen Felsen, der vom Boden aufragt, genau in der Mitte der Schlangengrube. Die Leute gehen um Mitternacht dahin. Und wenn du dieses bestimmte Symbol aus Steinen hinlegst, dann verwandelt es sich direkt vor deinen Augen, wenn es zwölf Uhr schlägt.“
„Verwandelt sich in was?“
„Na ja … die Steine verwandeln sich nicht in irgendwas“, meinte Jen. „Sie bleiben immer noch Steine. Aber sie bewegen sich.“
„Peinlich“, erklärte Liz.
„Mein großer Bruder hat das voriges Jahr probiert“, sagte Maria. „Er ist zu Tode erschrocken. Er will heute noch nicht darüber reden.“
Jen beugte sich vor und erzählte mit immer noch gespenstisch leiser Stimme: „Und obwohl Archäologen da schon ewig gearbeitet haben, findet man immer noch Pfeilspitzen, wenn man danach sucht. Sie sind bestimmt tausend Jahre alt.“
„Zehntausend, meinst du wohl.“
Jessica und die anderen sahen sich in der Bibliothek um. Es war Dess gewesen, das Mädchen aus Jessicas Mathekurs, die allein in einer Ecke saß.
„Also gut …“, sagte Liz gedehnt und rollte vor den anderen Mädchen am Tisch ein bisschen mit den Augen. Dann flüsterte sie: „Wo wir gerade von peinlich reden.“
Jessica warf noch einen Blick auf Dess, die so aussah, als hätte sie nichts gehört. Sie hatte ihren Kopf tief über ein Buch gebeugt und las mit dunklen Gläsern, als ob sie die Unterhaltung nicht mehr interessieren würde. Jessica
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