Die Erzaehlungen 1900-1906
mehr.
Winterabends kam der Mühlenbauer sehr oft zum Garibaldi und saß mit ihm
und seiner Tochter, der Lene Voßler, in der niedrigen, trüb erhellten Stube, die sich allmählich ganz mit Tabakrauch füllte. Ich schaute immer hinüber und
lief manches Mal noch spät nachts von meinem Bett ans Fenster, schaute nach, ob drüben noch Licht sei, und stierte das einsame rote Fenster ahnungsvoll
und begierig an, bis mich fror und ich ins Bett zurück mußte.
An einem Abend, es ging schon gegen den April und man brauchte fast
nimmer zu heizen, wurde meine Neugierde belohnt und das eigentliche Treiben
und Wesen des Alten ward mir klarer. Es fehlte nämlich diesmal der wollene
Vorhang hinter seiner Scheibe und ich sah den Garibaldi mit der Lene und
dem Penzler am Tische sitzen. Es mochte neun Uhr oder später sein. Eine
Blechlampe gab trübes Licht, die beiden grauhaarigen Männer bliesen Rauch
aus ihren Pfeifchen und saßen still und vorgebeugt auf ihren Hockern, die
Lene Voßler aber hatte über den ganzen Tisch im Viereck ein Kartenspiel
ausgebreitet, ein Blatt dicht am andern. Auf diese Karten starrten alle drei.
Bald nahm die Lene, bald ihr Vater eine Karte in die Hand und legte sie
nachdenklich und zögernd an einen andern Platz; der Mühlenbauer sah mit
scharfem Gesichte zu, deutete mit dem Pfeifenstiel hierhin und dorthin, schnitt ernste Grimassen, schüttelte den Kopf oder zuckte mächtig mit den gewaltigen Augenbrauen, die so stark wie Schnurrbärte waren. Gesprochen wurde nichts.
Über den drei gebeugten Köpfen wölkte der dichte Rauch und stieg über der
Lampenflamme in einer ununterbrochenen Säule in die Höhe.
Zwei Stunden lang schaute ich zu. Penzler schnitt immer schärfere Grimas-
sen, die Lene ordnete ihre Karten immer leidenschaftlicher und legte sie hastig aus, der alte Garibaldi aber saß mir gerade gegenüber und so oft er den Kopf erhob, floh ich in meine Stube zurück, obwohl er mich am dunklen Fenster
nicht hätte sehen können. Seine Augen waren auf die Karten gerichtet und
brannten in dem braunverwelkten Gesicht mit leiser Glut.
Sie taten also Karten legen und wahrsagen, und es wunderte mich nicht.
Aber wer wahrsagen kann, der muß auch zaubern können. Vom Bayern, dem
Penzler, wußte man ja schon immer, daß er mit Geistern umging und viele
geheime Heilmittel kannte. Ich paßte auf wie ein Jagdhund und brannte vor
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banger Begierde. Und als die Tage wärmer und die Abende lang und mild
wurden, sah ich öftere Male, wie Garibaldi, sobald es zu dunkeln begann, an
seinem Staffelplatz vom Penzler abgeholt wurde und mit ihm die Gasse hinab
verschwand. Ich wußte genau, daß er nicht ins Wirtshaus ging, dafür hatte
ihn meine Mutter oft gerühmt; daß man aber in diesen lauen, stichdunklen
Frühjahrsnächten viel Zauber treiben konnte, war gewiß.
Ich sah in meinen Gedanken die zwei alten Hexenmeister die Stadt verlas-
sen, im finstern Walde Kräuter suchen, ein Feuer anfachen und Beschwörungen
ausüben. Ich sah sie unter moosigen Felsen beim Lichte kleiner Diebslaternen Schätze aus der feuchten Erde graben. Ich sah sie Wetter machen und Krankheiten beschwören.
Ob wohl die Lene Voßler auch mitging? Nein, sie ging nicht mit. Eines
Abends konnte ich der Neugier nicht widerstehen. Sobald ich den Mühlenbauer
im Hof erscheinen sah, verließ ich still das Haus durchs Gartentor und schlich mich zwischen den Gärten hindurch auf die Gasse. Garibaldi und Penzler
gingen miteinander straßabwärts. Der eine hatte etwas unter dem Arm, was
wie ein aufgerollter langer Strick aussah, der andere trug eine Art Kachel oder Kanne. Ich folgte ihnen mit großem Herzklopfen die Gasse hinunter, über den
Balkensteg und bis auf den Brühel, wo das letzte Haus der Stadt, ein alter
Gasthof, steht und wo der Weg sich teilt. Es führt von dort aus ein Sträßlein eben den Fluß entlang, das andere stark ansteigend bergan in den Wald hinein.
Weiter wagte ich nicht hinterher zu gehen, der Gasthof war schon geschlos-
sen, ringsum brannte keine Laterne, von der Stadt hörte man nichts mehr als
vielleicht ein fernes Wagenrollen; vor mir lag kirchenstill der Brühel mit seinen riesigen Linden und Kastanien und durch die alten Kronen stöhnte der feuchte, stürmische Frühlingswind. Und die beiden dunklen Männer, die unter den
hohen Bäumen auf einmal klein erschienen, wandelten in die schwarze Stille
hinein, gleichmäßig im Schritt und ohne miteinander zu reden, ihre
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