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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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in jedem schwierigen Fall Rat gewußt und sich richtig unentbehrlich gemacht. Mit dem jungen Meister, der ihm anfangs oft widersprach und sich keinen Gesellen über den Kopf wachsen lassen wollte, hatte es anfangs häufig Zerwürfnisse gegeben, namentlich da Hannes sich gelegentlich
    Freiheiten erlaubte und im Reden keineswegs vorsichtig war. Dann aber hatten die zwei Männer, die beide in ihrem Beruf mehr als das Gewöhnliche leisteten, einander einigermaßen zu verstehen begonnen. Der Jungmeister arbeitete
    nämlich insgeheim an einer Erfindung, es handelte sich um einen kleinen Ap-
    parat zum automatischen Abstellen der großen Chemnitzer Strickmaschinen,
    von denen viele in unsrer Stadt arbeiteten, ich glaube es war eine praktische und gute Sache. Daran experimentierte er nun schon eine Weile herum und
    war oft halbe Nächte damit allein in der Werkstatt. Hannes aber hatte ihn
    belauscht und war, da ihn das Ding interessierte, zu einer anderen Lösung gekommen, die er dem Meister zeigte. Seither hatten die beiden viel miteinander gearbeitet und verkehrt, beinah wie Freunde. Dann traten wieder Verstimmun-gen ein, denn der Geselle erlaubte sich gelegentlich manche Freiheiten, blieb Stunden oder auch einen halben Tag aus, kam mit der Zigarre ins Geschäft
    und dergleichen, lauter Kleinigkeiten, in welchen unser Meister sonst äußerst streng war, und die er ihm nicht immer ungescholten hingehen ließ. Doch kam
    es nie mehr zu ernstlichem Zank, und eine ganze Weile war völliger Friede im Haus gewesen, bis kürzlich wieder eine Spannung anfing, die uns alle besorgt machte. Einige behaupteten, es gehe um ein Mädchen, wir andern meinten,
    vermutlich habe Hannes ein Anrecht auf den Mitbesitz der Erfindung erhoben,
    und der Meister wehre sich dagegen. Sicher wußten wir nur, daß Hannes seit
    Monaten einen übertrieben hohen Wochenlohn bezog, daß er vor acht Tagen
    im Modellierraum einen sehr lauten, zornigen Wortwechsel mit dem Jungmei-
    ster gehabt hatte, daß seither die beiden einander grimmig nachblickten und
    einander mit einem bösartigen Schweigen auswichen.
    Und nun hatte es Hannes gewagt, heute Blauen zu machen! Es war bei ihm
    schon lang nicht mehr vorgekommen, und bei uns Jüngeren überhaupt nie;
    von uns wäre jeder ohne Sang und Klang entlassen worden, wenn er einmal
    Blauen gemacht hätte.
    Wie gesagt, es war kein guter Tag. Der Meister wußte, daß wir die Nacht
    gefestet hatten, und sah uns scharf auf die Finger. Seine Wut über das Aus-
    bleiben des Gesellen mußte nicht klein sein, außerdem lag wichtige Arbeit da.
    Er sagte nichts und ließ sich nichts anmerken, aber er war bleich und sein
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    Schritt war unruhig, auch schaute er öfter als nötig auf die Uhr.
    Du, das gibt eine Sauerei , flüsterte der zweite Geselle mir zu, als er an
    meinem Platz vorbei zur Esse ging.
    Und keine kleine , sagte ich.
    Schon schrie der Meister herüber, was es da zu schwätzen gebe. Seine Stim-
    me war bös.
    Man wird wohl einander noch etwas fragen dürfen , meinte Karl. Aber
    als der Meister einen Schritt näher trat und ihn anfunkelte, duckte er sich und ging zum Feuer.
    Die Mittagsstunde war vorbei, und allmählich verging auch der lange Nach-
    mittag, freilich entsetzlich langsam, denn die verhaltene Wut machte den Meister zu einem unerträglichen Arbeitsnachbarn. Er gab sich, obwohl er unsre Arbeiten immer kontrollierte, nicht mit uns ab; er schmiedete sogar ein größeres Stück, statt einen von uns an den Vorschlaghammer zu kommandieren, allein,
    und dabei lief ihm der Schweiß übers Gesicht und tropfte zischend auf den
    Amboß. Uns war zumut wie im Theater vor einer Schreckensszene, oder wie
    vor einem Erdbeben.
    Um vier Uhr, während wir unser Vesperbrot aßen, tat der Meister etwas
    Sonderbares. Er ging an den leeren Platz des Hannes an der Werkbank, nahm
    zwei Schraubenschlüssel und machte mit vieler Mühe den schweren Schraub-
    stock los, der seit vielen Jahren dort seine Stelle gehabt hatte und gewiß so alt war wie die Werkbank, vielleicht so alt wie die Werkstatt. Was dachte sich der Mann bei dieser seltsamen, unnützen Arbeit? Es sah so aus, als wolle er
    den Gesellen überhaupt nicht mehr in die Werkstatt lassen, aber jetzt bei der vielen Arbeit war das kaum möglich. Mir machte es einen beinah schauerlichen Eindruck, zu sehen, wie dieser praktische, jeder Spielerei abgeneigte Mann in seinem stillen Grimm auf eine solche symbolische Handlung verfiel.
    Abends um fünf Uhr fuhren wir ordentlich

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