Die Erzaehlungen 1900-1906
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tragend. Ich sah sie schwer und still schreiten, der Nacht entgegen, mitten in das sich auftuende Reich der Finsternis und der schrecklichen Wunder, wo sie heimisch waren.
Mir wurde todesangst, als der Penzler einmal hinter sich schaute; ich blieb
am Brühel stehen und sah nur noch, daß die beiden den Talweg flußabwärts
einschlugen. Dann lief ich im Galopp zurück, kam ungesehen wieder durch die
Hintertüre ins Haus und als ich dann geborgen im Bett lag, konnte ich noch
lange nicht einschlafen, weil mein Herz vom schnellen Laufen und vor Angst
nicht aufhören wollte, gewaltig zu schlagen.
Von da an wagte ich dem Garibaldi kaum mehr zu begegnen und wich ihm
und dem Penzler auf der Straße ängstlich aus. Und daran tat ich wohl, denn
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es zeigte sich nicht allzulange darauf, daß sie gefährliche Wege gegangen seien.
An einem Morgen im Sommer – ich hatte Ferien – sprach es sich in der Stadt
herum, es sei zu Nacht ein Unglück passiert. Nach einer Stunde erfuhr man,
der Mühlenbauer Penzler sei in aller Gottesfrühe tot aus dem Wasser gezogen
worden und liege drunten im Gutleuthaus. Alles strömte in großer Aufregung
und Neugierde dorthin. Auf den steinernen Korridor des Gutleuthauses waren
ein paar Bündel leinene Säcke und darüber eine rote Wolldecke gelegt, darauf lag halb entkleidet eine Gestalt, das war der Mühlenbauer. Aus der Nähe
betrachten durfte man ihn nicht, ein Landjäger stand dabei, und mir war es
recht, denn das Grausen hätte mich umgebracht.
Der Garibaldi war auch da, ging aber bald wieder weg und hatte sein
gleichmütiges Gesicht aufgesetzt, so als gehe die Geschichte ihn nichts an.
Als er wegging und die vielen Leute immer noch neugierig herumstanden und
die Mäuler offen hatten, lächelte er auf seine stille, verächtliche Art. Und der Penzler war sein einziger Freund gewesen.
Wahrscheinlich war er nachts dabei gewesen, als der andere ins Wasser fiel.
Warum hatte er dann nicht sogleich Leute geholt?
– Oder war der Bayer vielleicht mit seinem Wissen und durch seine Schuld
ertrunken? Hatten sie Streit gehabt, vielleicht bei der Teilung eines Schatzes?
Man hörte auf von dem Unglück zu reden. Garibaldi tat wie immer seine Ar-
beit in der Stadt herum und rastete bei gutem Wetter jeden Abend auf der
Treppenstaffel über unserem Hof, wo die Kinder lärmten. Der dem Zauber-
wesen zum Opfer gefallene Mühlenbauer fand keinen Nachfolger. Garibaldis
Gesicht wurde je älter desto undurchschaulicher und ich, der einen Teil seiner Geheimnisse kannte, sah hinter seiner gleichmütigen Stirn und hinter seinem
ruhig überlegenen Blick eine Welt von dunklen Schicksalen träumen.
Im folgenden Herbst geschah es, daß ihm bei der Arbeit die hohe Leiter
eines Gipsers auf die Schulter fiel und ihn beinah erschlagen hätte. Er lag
vier Wochen krank im Spittel. Als er von dort wiederkam, war in seinem
Wesen eine gewisse Veränderung wahrzunehmen. Er lebte wie sonst, tat seine
Arbeit und sprach womöglich noch weniger als früher, aber er hatte jetzt die Gewohnheit, leise mit sich selber zu reden und zuweilen zu lachen, wie wenn
ihm alte lustige Geschichten einfielen. An stillen Abenden, wenn die Kinder
gerade anderswo tobten oder einem Kunstreiterwagen oder Kamelführer oder
Orgelmann nachliefen, hörte man ihn im Höfchen ohne Unterlaß murmeln.
Auch saß er nie mehr lange Zeit auf seinem Steine still, sondern ging öfters unruhig auf und ab, was zusammen mit dem Murmeln und dem Kichern etwas
Unheimliches hatte.
Ich fühlte damals zum erstenmal Mitleid mit dem alten Hexenmeister, ohne
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ihn aber deswegen weniger zu fürchten. Sein neuerliches Gebaren schien mir
bald auf Gewissensbisse, bald auf neue schlimme Unternehmungen zu deuten.
Der Garibaldi will auch anfangen alt werden , sagte einmal meine Mut-
ter beim Nachtessen. Ich verstand das im Augenblick nicht, denn ich hatte
ihn nie anders als grau und alt gesehen. Aber ich vergaß das Wörtlein nicht
und merkte nach und nach selber, daß Garibaldi wirklich jetzt erst zu altern begann.
Noch einmal machte er von sich reden. Eines Abends war, nach langem
Ausbleiben, seine Tochter Lene wieder einmal zu ihm gekommen. Sie waren in
der Stube beieinander und ich glaube, die Lene wollte auswandern. Darüber
kamen sie in Streit, bis das Weib mit der Faust auf den Tisch schlug und ihm Schimpfworte sagte. Da hub der alte Mann seine Tochter, so groß und stark
sie war, jämmerlich zu hauen an und warf
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