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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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    wäre genug.
    Mir sind die Bälle bis jetzt recht gewesen , stieß Legager wütend heraus.
    O, bitte, es liegt ja nicht so viel daran. Wollen Sie beginnen?
    Herr Legager machte ein paar Bälle. Die Zuschauer paßten mit größter Span-
    nung auf. Kerkelchen gewann rasch einen bedeutenden Vorsprung.
    Beim dritten Fehlstoß legte Legager sein Queue aus der Hand.
    Wenn Sie erlauben, möchte ich aufhören. Ich bin heute durchaus nicht
    disponiert, komme eben von einer Reise zurück.
    Kerkelchen war einigermaßen erstaunt.
    Na, wie Sie wollen , sagte er kühl.
    Vielleicht spielen wir morgen mitein-
    ander. Ich bin immer disponiert.
    Man verabredete das Match auf acht Uhr abends und Herr Legager ging zor-
    nig davon, ohne den etwas bestürzten Marqueur, der ihm die Tür aufsperrte,
    eines Grußes zu würdigen.
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    Fast den ganzen folgenden Tag war er im Kasino und übte. Er sah etwas
    reduziert aus, denn der gestrige Ärger war ihm in den Magen gefahren und
    hatte ihm den ganzen Appetit verdorben. Diese verdammte Berliner Schnauze!
    Na, man würde ja sehen.
    Abends acht Uhr waren alle Plätze im Storchen schon besetzt. Herr Legager
    wusch sich die Hände, ließ sein Queue abreiben und behandelte die Lederkappe mit einer Glaspapierfeile. Fünf Minuten nach acht Uhr kam Kerkelchen, grüßte fidel und vertauschte seine elegante Sommerjacke mit der schwarzseidenen
    Bluse. Er legte ein Stück Kreide auf den Billardrand.
    Wenn Sie gern meine gute Kreide mitbenützen wollen, Herr?
    Legager schüttelte nur den Kopf. Er begann zu spielen.
    Also Sie können die Hälfte vorhaben.
    Legager brauste auf.
    Zum Teufel mit Ihrem Vorgebenwollen!
    Er hatte die Bedingung gestellt, daß jeder fünfte Ball indirekt und jeder
    zehnte als Vorbänder gespielt werden solle. Kerkelchen hatte freundlich dazu genickt.
    Nach kurzer Zeit bemerkte Legager, daß er zurückblieb. Er war heillos auf-
    geregt und fand seinen ruhigen Stoß nicht wieder.
    Als Kerkelchen auf dreihundert war, fing er an, Kunststückchen zu riskieren.
    Er erschwerte sich die Stöße, machte Einhänder, Fiedelstöße, Schlangenstöße.
    Als er auf vierhundert war, gestattete er sich einige Witze. Legager rollte
    die Augen unter der geröteten Stirn und biß sich die Lippen wund. Er wußte,
    daß er schmählich verlieren müsse.
    Bei 465 lächelte sein Gegner:
    Na, jetzt werden wir’s ja gleich haben.
    Herrgottsternbomben , schrie Legager außer sich,
    lassen Sie die ver-
    dammten Witze, oder –!
    Regen Sie sich doch nicht auf, Verehrtester. 467, 468, 469. So, jetzt der
    Vorbänder: links aus der Ecke, verkehrtes effet, drei Banden. Schön – 470, 471.
    Aha, der bleibt aus. Es ist an Ihnen.
    Die letzten zehn Bälle machte der Meister sämtlich als Vorbänder. Offenbar
    wollte er seinen Gegner verhöhnen. Und er blieb so ruhig! Im Publikum wurde
    mehrmals lebhaft Bravo gerufen. Jetzt war er fertig.
    Er machte einen unerhört tiefen Bückling vor dem Besiegten.
    Habe die
    Ehre, mein Herr. Ein andermal wieder. Die Hälfte Vorgabe, wie gesagt.
    Herr Legager war dunkelrot geworden. Als er sah, wie Kerkelchen die Ach-
    seln zuckte und lächelte, verlor er alle Haltung. Von verzweifelter Wut über-mannt, nahm er seinen Billardstock verkehrt in die Hände, schwang ihn durch
    die Luft und wollte ihn auf den Schädel des Berliners niedersausen lassen.
    Aber da hatte man ihn schon von hinten gefaßt und ihm die Stange aus den
    Händen gewunden.
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    Sogleich war der gewandte Marqueur zur Hand.
    Aber, Herr Legager, be-
    ruhigen Sie sich! Lieber Gott, jeder hat schließlich ’nmal Pech. Kommen Sie, nehmen Sie einen Kaffee.
    Aber Legager hatte sich schon losgemacht. Finster schlüpfte er in seinen
    Gehrock, während der Marqueur das Publikum beruhigte, und verließ den
    Saal.
    Zitternd trat er auf die nächtliche Straße, das Herz von Wut und Scham
    zerrissen, den Blick am Boden, laut vor sich hintobend und mit Stock und
    Fäusten agierend.
    Ein Schutzmann hielt ihn an. Zornig fuhr er auf:
    Was wollen Sie?
    Schreien Sie gefälligst nicht so. Sie scheinen betrunken zu sein.
    Er riß sich los. Der Schutzmann faßte fester zu.
    Wollen Sie wohl –?
    Aber Legager war nicht mehr zu bändigen. Er schlug dem Schutzmann mit
    der Faust ins Gesicht, dann mit dem Stock auf den Helm, auf die Hände, auf
    den Rücken. Leute scharten sich um ihn, Hände erhoben sich, Pfiffe ertönten, und nach zwei Minuten wurde Herr Legager, überwältigt, zerschlagen und mit
    Handschellen

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