Die Erzaehlungen 1900-1906
hatte die Festlichkeit Jahr für Jahr mitgemacht und ging auch diesmal
beizeiten zum Dom. Ein deutscher Herr, welcher damals mein Nachbar und
mir gut bekannt war, schloß sich mir an, denn er hatte den Scoppio noch nie
gesehen. Da die Stufen der Domtreppe schon alle besetzt waren, überredete
ich meinen Begleiter zu der kleinen Ausgabe des Eintrittsgeldes und bestieg
mit ihm den Glockenturm des Giotto. Es war ein warmer Tag wie heute, dar-
um stiegen wir bis aufs Dach, das trocken und erwärmt war, und setzten uns
auf den schiefen Rand desselben, stemmten die Füße gegen die Brustwehr und
hatten so einen bequemen Warteplatz. Man sieht von dieser Höhe aus die
ganze Stadt, außerdem die Berge, Fiesole, San Domenico, San Miniato und
die Talebene des Arno. Während wir den schönen Anblick genossen und das
mitgebrachte Brot mit Limonade verzehrten, erzählte mir der junge Herr eine
Liebesangelegenheit, in welcher er mich um Rat und Beistand bat. In Prato
drüben hatte er mehrmals ein sehr schönes Mädchen gesehen, hatte auch ih-
re Wohnung erfragt und ein paar Worte mit ihr gesprochen. Seither hatte er
vergeblich sich ihr zu nähern versucht. Ich merkte bald, daß er nicht daran
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dachte, sie zu heiraten, sondern nur sein Vergnügen im Sinne hatte. Da ich
aber an solchen Affären Freude hatte und wußte, daß er dabei gern einige
Fünfernoten springen lassen würde, versprach ich, ihm beizustehen.
Indessen begann unten die Prozession und wir sahen zu, bis mit dem Schlag
zwölf Uhr alle Glocken einfielen und das am heiligen Wagen reichlich ange-
brachte Feuerwerk mit großem Lärm und Rauch verbrannte. Vier weiße Stiere
mit vergoldeten Hörnern zogen darauf den carro hinweg und die ungeheure
Volksmenge lief auseinander. Auch wir verließen den Campanile und begaben
uns in die Via del Sole, wo damals eine der besten Trattorien war. Nach Tisch beschloß ich, heute noch mir die Sache in Prato anzusehen, da vom Feste her
ohne Zweifel viele Besucher dorthin zurückkehren und ich also leicht eine billige Fahrgelegenheit finden würde. So gab mir denn der verliebte Herr einiges Geld, nannte mir genau die Wohnung des Mädchens und ließ mich ziehen. Ich
konnte umsonst auf einem stattlichen Wagen mitfahren und war also bald in
Prato, ersparte außerdem das erhaltene Fahrgeld und befand mich daher in
bester Laune. Deshalb hielt ich, in Prato angekommen, keine besondere Eile
für nötig, sondern besuchte erst meinen Freund, welcher nahe beim Rathause
wohnte. Ihr wißt, wie berühmt die biscotti 1 von Prato sind! Nun, mein Freund fabrizierte solche biscotti und machte damit sein gutes Geschäft. Heute hatte er auch wegen des Feiertages die Arbeit eingestellt und freute sich sehr, einen so fröhlichen Gesellschafter zu bekommen. Wir tranken in seinem Gärtchen Kaffee, plauderten und waren guter Dinge. Bald darauf kam auch seine Braut, ein wohlgewachsenes, sauberes Mädchen, jedoch keine sehr auffallende Schönheit.
Ich mußte nun Gitarre spielen, singen und Geschichten erzählen, denn darin
war ich damals stark und deshalb überall nicht wenig beliebt. Es gab noch
biscotti und viele andere gute Dinge, so daß ich vor lauter Vergnügen meinen Herrn und seinen Auftrag völlig vergaß.
Gegen Abend, da das Mädchen nach Hause zum Essen zurückkehren muß-
te, begleiteten wir beide sie bis zu ihrer Türe. Ihre Mutter war Witwe und
führte einen kleinen Kramhandel. Zu meinem Erstaunen kam mir hier alles
merkwürdig wohlbekannt vor, bis mir plötzlich einfiel, daß ich just vor dem
Hause stand, welches der Deutsche mir beschrieben hatte. Das Mädchen, dem
er nachstellte, war also Giulia, die Braut des Bäckers, meines Freundes. Kaum hatte ich dies wahrgenommen und ein wenig überdacht, so nahm ich diesen
beiseite und erzählte ihm die ganze Sache. Und obwohl er anfangs sehr dagegen war, überredete ich ihn doch, meinen Plan zu unterstützen.
Vier Wochen lang hat es gedauert. Der Verliebte hieß mich jeden Samstag
Geschenke kaufen, so daß das schöne Silber mir froh im Sack erklang. Auch
schrieb er zärtliche Briefchen und erhielt darauf freundliche, aber zögernde 1Backwerk
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und vertröstende Antworten, die ich selbst verfaßte und von einer Freundin
schreiben ließ. Von der ganzen Angelegenheit wußte das Mädchen in Prato
kein Wort. Endlich, als mein Herr gar zu ungeduldig wurde, gestattete ich
ihm einen Besuch in Prato, wobei ich dafür sorgte, daß er das Mädchen nicht
zu sehen
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