Die Erzaehlungen 1900-1906
gefesselt, von drei Schutzleuten abgeführt.
(1902)
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Wenkenhof
Eine romantische Jugenddichtung
Die Mitternacht war schon nahe. In dem großen sommerlichen Gesellschafts-
zimmer des alten Landhauses glänzte die Hängelampe auf die dunklen Bilder
und ihre blaß gewordenen Rahmen, auf das offene Klavier, auf welchem ein
Strauß Narzissen stand, und auf den runden, eichenen Riesentisch. An die-
sem saß der Hausherr und die Dame, ihr Sohn und ich, der aus der Stadt zu
Gast gekommen war. Auf dem Tische lag neben einem Strauß von Feldblu-
men aufgeschlagen ein altes Büchlein von Eichendorff und eines von E. Th. A.
Hoffmann, mit kleinen rotbraunen Kupfern nach Callot, und über die Bücher
hinweg war die Geige des Sohnes gelegt. Durch die geöffneten Flügeltüren des altmodisch ausgebauchten Balkons kam die kühle Luft herein, und der Geruch
der blühenden Obstgärten und das schwache weiße Licht der Sterne. Jenseits
der Wiesen und schwarzen Felder schienen die Sterne überaus zahlreich, klein und rötlich auf der Erde fort zu glänzen – dort lag mit tausend Lichtern die bleich überdünstete Stadt. Vom Kiesplatz her klang der schwache künstliche
Quell des kleinen Fischweihers.
Die kleine, vertraute Gesellschaft gab sich müden Abendträumereien hin
und redete wenig; oft war lange kein anderer Laut im Zimmer als unser Atem
und der Atem der Nacht, als der Windzug, der die Balkontüren leis beweg-
te, oder ein halbes Geräusch aus der nahen Stube, in welcher bei offenen
Fenstern die Kinder schliefen. In diesen stummen Minuten drang der Glanz
der aufsteigenden Venus stärker in das Zimmer, vom Klavier her klangen für
Träumerohren die zärtlicheleganten Takte Mozarts unendlich leise hörbar, und in der braunen Geige rührten sich mit summendem Gedränge die gefangenen
Töne. In den entfernten Ecken des zu großen Zimmers saß lauschend die Fin-
sternis.
Jetzt erzählet!
sagte die Hausfrau, und zugleich löschte sie die Lampe
aus. Die Finsternis stürzte hinter dem verglosenden Flämmlein her gierig aus allen Ecken hervor, aber der süße Glanz der Venus drang bis zum Rande des
runden Tisches und lag zwischen ihm und dem Balkon wie eine weiße Straße.
Gemeinsam mit dem Sohn begann ich nun eine Geschichte zu erzählen, so
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daß einer den andern in kurzen Pausen ablöste, wie wir es oft getan hatten.
Die dunkle Nacht und der erwachende Spätwind und die viel mehr als hun-
dertjährigen Bäume der englischen Allee erzählten in den Pausen mit, und es
geschah daher, daß in unserer Geschichte viel von Sternen und nächtlichen
Schatten auf mondhellen Pfaden die Rede war, auch von Seufzern, die in be-
deutender Stunde aus Gewächs und Geräte steigen, von Doppelgängern und
aufsteigenden Schatten Gestorbener.
Mit dem letzten Schlag der Mitternacht war die Geschichte zu Tod und Ende
geführt und verklang fremden Tons in der Dunkelheit. Eine Kerze flammte
auf, und eine zweite; nebenan ward mir ein kleines Schlafgemach geöffnet, wir gaben einander die Hände und gingen auseinander.
Nach einer kurzen Stunde Schlafs weckte mich eine sanfte Klaviermusik.
Leise und sehr behutsam stieg ich aus dem hohen Bett und schob die ange-
lehnte Tür des Gesellschaftszimmers ein wenig weiter zurück. Ein schwaches
Flimmerlicht drang ein, und die Musik erklang deutlicher. Ich erkannte ein
Menuett von Mozart, von Frauenfingern gespielt. Noch ein vorsichtiger, vor-
sichtiger Druck an der Türe . . .
Am Klavier saß ein hübsches Mädchen im Kostüm des Empire, weiß mit
lila Schleifen und sehr hoch gegürtet. Sie spielte die delikate Musik so, wie ich glaube, daß sie vor hundert Jahren gespielt wurde, nämlich sehr zierlich und akkurat, nur die kleinen sentimentalen Wendungen ganz leicht übertreibend,
und sie lächelte dazu. Nach einer kurzen Weile hielt sie inne. Es entstand
Geräusch auf dem Balkon. Ein junger Herr in dunkelblauem Frack stieg über
die schöne schmiedeiserne Brüstung. Seine weißen Wadenstrümpfe stachen hell
und unerträglich eitel durch die Nacht hervor. Kaum hatte er beide geschmei-
dige Beine über den leicht erzitternden Eisenbord gebracht, da lag er schon
vor dem Klavier der schönen Musikantin zu Füßen. Indes er Liebeswahnsinn
stammelte und von ihr mit schnöde lächelnden Mienen ohne Glauben angehört
wurde, reizte mich ihr hochmütiges, hübsches Gesicht und der edle Bogen ih-
rer hochgezogenen Brauen. Sie spielte jeweils einen fröhlichen Takt weiter
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