Die Erzaehlungen 1900-1906
daraus
keinen Vorteil zu ziehen, sondern bezahlte stets die Hälfte des Spielgeldes und wurde äußerst ärgerlich, wenn jemand das nicht annehmen wollte.
Sie glauben wohl, ich sei Professionsspieler?
sagte er dann mit unendli-
cher Geringschätzung.
Niemanden auf der Welt verachtete er so tief und leidenschaftlich wie die
Billardspieler von Beruf. Er selber tat zwar jahraus jahrein nichts anderes als 65
Billardspielen, aber er war Rentner und trieb das Spiel lediglich zu seinem
Vergnügen. Er spielte nachmittags im Kasino, abends im Storchen, schlug
jeden Gegner, und machte sich oft ein grimmiges Vergnügen daraus, die prah-
lerischen Turnierberichte in der Billardzeitung mit bitterem Hohn vorzulesen.
Kolwanst in Breslau hat eine Serie von zwölfhundert gespielt. Kolwanst!
Er soll doch kommen; er kann achthundert auf zweitausend vorhaben. Serien
von tausend sind pöbelhaft, die macht jeder Gassenbub, wenn er ein bißchen
aufpaßt. Wo soll da das feine Spiel bleiben? Nein, jeder dritte Ball muß zwei Banden haben, so halte ich’s.
Und er machte mit dem Marqueur eine Partie Schindluder, wobei jeder
dritte Ball Vorband haben muß und Serien unter neun nicht zählen. Er gab
auch dem Marqueur fünfzig auf hundert vor.
Vor sieben Jahren war er zu einem Turnier nach Stößelfingen gefahren,
vor vier Jahren nach Quedangerfelden, und beide Male war er erster Sieger
gewesen und hatte ein Diplom mitgebracht, über das er sich unter Freunden
recht lustig machen konnte.
Ich kenne Leute , sagte er,
die keine Serie über vierzig machen und
doch viel bessere Spieler sind als diese sogenannten Professoren in Wien oder sonstwo.
Eines Tages kam Herr Legager von einer kleinen Sommerreise zurück. Er such-
te seine bescheidene Zweizimmerwohnung auf, kleidete sich um, steckte sei-
ne Kreide in die Tasche und bummelte langsam nach dem Storchen. Es war
abends acht Uhr.
Als er lächelnd und mit freundlich herablassendem Willkommnicken die Tür
öffnete, stürzte ihm keine Kellnerin und kein Marqueur entgegen. Er blieb
erstarrt stehen und blickte fassungslos in das veränderte Lokal. Das beste
Billard, sein reserviertes Billard, war nicht frei! Es waren in weitem Abstande zwei Reihen Stühle darum gestellt, die alle von Zuschauern besetzt waren,
und am Billard stand ein fremder, etwas korpulenter junger Herr und spielte
allein. Dieser Herr hatte ein sehr schönes eigenes Queue, trug eine kleidsame, dünn schwarzseidene Bluse und benahm sich sehr sicher und ein wenig kokett.
Erst als Herr Legager näher trat, bemerkte ihn der Marqueur und eilte auf
ihn zu. Ohne auf das bitterböse Gesicht seines Stammgastes zu achten, zerrte er ihn mit sich und nötigte ihn auf den Stuhl in der ersten Reihe, den er selbst innegehabt hatte.
Da können Sie was sehen , flüsterte er;
was Exquisites, Herr Legager.
Er spielt gerade seine Fünfhunderterserie in vorgezeichneten Feldern, nie mehr als zwei Bälle im gleichen Feld.
Wie heißt denn der Kerl?
fragte Legager scharf.
66
Kerkelchen aus Berlin, der berühmte Kerkelchen. Er hat vor acht Tagen
Daubenspeck in Zürich glänzend geschlagen. Sie haben es ja gewiß in den
Blättern gelesen. Also das ist er. Ein Spiel hat er, ein Spiel! Sehen Sie nur!
Der Berliner spielte seine Serie ziemlich rasch zu Ende. Legager beobachtete genau. Sein Spiel war tadellos sauber.
Kaum war er fertig, so drängte sich der Marqueur vor.
Erlauben, Herr Professor, hier ist Herr Legager angekommen, unser erster
Spieler. – Herr Legager.
Herr Legager mußte nun wohl aufstehen und sich zu einer Art von Be-
grüßung entschließen. Kerkelchen benahm sich gegen den älteren, etwas stei-
fen Herrn sehr nett, wenn auch ein bißchen gönnerhaft. Legager biß sich auf
die Lippen.
Machen wir eine Partie, Herr Legager? Ich gebe zweihundertfünfzig auf
fünfhundert vor.
Danke schön, ich will nichts vorhaben. Aber ich möchte mit meinen eigenen
Bällen spielen.
Meinetwegen , lächelte der Weltmeister.
Sind es elfenbeinerne?
Ja, selbstverständlich.
O, ich spiele für mich immer mit Benzolinbällen. Sehr empfehlenswert.
Das mit dem Elfenbein ist lediglich ein Vorurteil.
Herr Legager wurde blaß und schwieg. Der Marqueur brachte seine Bälle
her, rieb sie mit einem Tüchlein aus weißer Wolle ab und setzte sie aufs Tuch.
Kerkelchen nahm einen davon in die Hand.
Ich dachte mir’s , sagte er ruhig.
Sie sind zu schwer.
– zu schwer?
Ja, bester Herr. Dieser Ball wiegt mindestens
Weitere Kostenlose Bücher