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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und hörte sodann wieder heiter, behaglich und grausam dem Knieenden zu, seine
    Beschwörungen bald mit Schweigen, bald mit Lächeln, bald mit einem Triller
    beantwortend. Sie schlug erstaunlich tadellose Triller.
    Da der Galant heißer und am Ende immer drängender und unabweislicher
    wurde, ärgerte ich mich doch. Ich brach im Hemde aus meiner Kammer hervor,
    ergriff den Verliebten mit beiden zornigen Händen, trug ihn – er war nicht
    schwer – zum Balkon, an welchem noch seine angehakte Leiter hing, und warf
    den Pudermann köpflings hinunter. Ein verhältnismäßig stattlicher Fall tönte drunten auf dem mondweißen Fliesenboden. Umkehrend verneigte ich mich
    vor dem weißen Fräulein und schämte mich elend, weil ich im Hemde dastand.
    Mademoiselle, permettez . . .
    71
    Sie aber wurde blaß, und wurde schmal, und sank mit einem überaus zarten
    Seufzer auf dem Stuhl zusammen, und da ich die Hände nach ihr ausstreckte,
    griff ich eine große, stark duftende Narzisse. Erschrocken und traurig stellte ich die weiße Blüte zu den andern ins hohe Blumenglas und kehrte in das
    verlassene Bett zurück.
    Als ich des Morgens vor dem Abschiednehmen das Klavierzimmer nochmals
    aufsuchte, war alles wie am vergangenen Abend. Nur ein altes Männerbildnis
    an der Wand schien mir auffallend rachsüchtig zu blicken, was ich früher nie beachtet hatte. Doch machte mir dies begreiflicherweise keine Sorgen.
    Der Wagen war angespannt, und ich fuhr in Begleitung des Hausherrn nach
    der Stadt zurück. Der gastfreundliche Herr war heute ziemlich verschlossen
    und sah mich unangenehm und fragend an.
    Es ist vielleicht besser , sagte er plötzlich,
    wenn Sie uns hier draußen
    nicht mehr besuchen.
    Ich war sprachlos.
    Ja, weshalb denn?
    rief ich bestürzt. Er blickte mich strenge an.
    Ich habe gesehen, was Sie heut nacht getan haben.
    Und nun?
    Jener Herr war mein Großvater. Sie wußten es vermutlich nicht, aber ei-
    nerlei . . .
    Ich begann mich zu entschuldigen, aber er rief dem Kutscher zu, schneller
    zu fahren, winkte abwehrend gegen mich und lehnte sich tief im Sitz zurück,
    ohne sich mehr auf ein Gespräch ein zulassen.
    (1902)
    72
    Peter Bastians Jugend
    Ich bin in Zavelstein bei Calw im Schwarzwald geboren. Meine Mutter hieß
    Anna Bastian, einen Vater hatte ich nicht. Und so ist meine arme Mutter der
    einzige Mensch, den ich mein Leben lang liebgehabt und nach dem ich zuzeiten Heimweh gehabt habe, obwohl ich sie lang genug versäumt und vergessen habe.
    Sie hat mich lesen, schreiben und beten gelehrt. Denn ob sie wohl katholisch war, verstand sie doch außer dem Paternoster und dem Ave auch aus dem
    Herzen zu beten mit Worten, die in keinem Buch vorgezeichnet stehen. So
    wie ich mich ihrer aus meiner ersten Knabenzeit erinnere, war sie eine junge, schlanke Frau, deren Schönheit nur langsam der Zeit und den Sorgen nachgab.
    Weil meine Mutter nicht von Zavelstein gebürtig, sondern eine Fremde war,
    und weil ich schon früh das kleine Nest verließ, gefiel es mir später, mich für einen Heimatlosen zu halten. Es war mir aber doch nicht ganz Ernst damit,
    denn als junger Bursch auf Wanderschaft habe ich manchen langen Tag hin-
    durch Heimweh gehabt und auch jetzt, wenn ich das Wort Heimat höre oder
    sage, sehe ich das kleine Bauernstädtchen vor mir, als hätte ich es erst gestern verlassen. Auch darf ich, da ich ein gutes Stück von der Welt mit meinen
    Augen gesehen habe, wohl sagen, daß meine Heimat schön ist. Die Berge voll
    hoher Fichtenwälder, die in der Ferne so blau aussehen, die hochgelegenen Felder und Wiesen, in der Osterzeit voll vom blühenden Krokus, die große alte
    Burgruine mit dem Blick hinunter auf das stille Teinacher Tal – das alles ist schön und darf sich neben mancher berühmten Touristengegend sehen lassen.
    Damals freilich konnte und wollte ich das nicht wissen. Sondern es lag von
    früh an etwas in mir, das ins Weite wollte und mir keine Ruhe ließ. Daß meine Mutter katholisch und keine Einheimische war, hat vielleicht sein Teil Schuld daran, und daß ich keinen Vater hatte, auch. Ich kam mir anders, nämlich
    besser vor als meine Heimatkameraden, und hatte mir schon früh in den Kopf
    gesetzt, dies Nest recht bald zu verlassen und nicht wieder zu kommen. Viel
    hat dazu die alte Lisabeth beigetragen, die ehemalige Botenfrau, die in ihrem Altenstübchen in des Kronenwirts Haus wohnte und mir den Kopf voll von
    Geschichten und Sagen und Ideen steckte. Seit ihr Sohn in Amerika verschollen war,

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