Die Erzaehlungen 1900-1906
über dem Chasseral hing und dessen
schwaches Licht in ihren Flintenläufen, in den Schneekristallen und in den
gebrochenen Augen des erschlagenen Wolfes sich brach.
(1903)
100
Hans Amstein
Schon gut, junge Leute, quält mich nicht. Ich will euch also etwas aus meinen Studentenjahren erzählen, das von der schönen Salome und meinem lieben
Hans Amstein. Nur müßt ihr stillhalten und dürft nicht glauben, es handle sich um so eine Studentenliebelei. Zu lachen ist nichts dabei. Und gebt mir noch
ein Glas Wein her! Nein, vom Weißen. Fenster zumachen? Nein, Verehrtester,
laß es nur donnern, es paßt mir in die Geschichte. Wetterleuchten, Donner
und schwüle Nacht, das ist die Stimmung. Ihr modernen Herren sollt sehen,
daß wir seinerzeit auch unser Stück erlebt haben, dick und dünn, wie es kam, und nicht zu wenig. Habt ihr auch zu trinken?
Ich bin schon früh ohne Eltern gewesen und habe fast alle meine Ferien beim
Onkel Otto droben verbummelt, in seinem steinigen Schwarzwaldnest, zwi-
schen Obstessen, Räubergeschichten und Forellenangeln, denn in alledem teil-
te ich als dankbarer Neffe meines Onkels Geschmack vollkommen. Ich kam im
Sommer, im Herbst und an Weihnachten, mit schmalem Ranzen und leerem
Sack, fraß mich da droben feist und rot, verliebte mich jedesmal ein wenig in die teure Cousine und vergaß es auf Schulen wieder, denn es saß nicht so tief.
Ich rauchte mit dem Onkel um die Wette seine giftigen Italiener, ging mit ihm angeln, las ihm aus seiner höchst kriminellen Bibliothek vor und begleitete
ihn womöglich abends zum Bier. Das alles war nicht schlecht und kam mir
löblich und männlich vor, wenn auch die blonde Cousine zuweilen bittende
oder vorwurfsvolle Augen machte; sie war eben eine sanfte Natur und hatte
keinen Sinn fürs Martialische.
In den letzten Sommerferien vor der Studentenzeit war ich wieder beim
Onkel, großmäulig, hoffärtig und ins Kraut geschossen, wie Abiturienten sein müssen. Da kam eines Tages ein neuer Oberförster. Es war ein guter, stiller
Mensch,
unjung und nicht mehr ganz gesund , der da seinen Altersposten
gefunden hatte.
Man sah im Augenblick, er würde wenig von sich reden machen. Er brachte
einen schönen Hausrat mit, denn er war reich; ferner wundervolle Hunde, ein
langschwänziges, zartes Pferdchen samt einem zierlichen Gefährt, beide für
101
die Gegend viel zu leicht, ein schönes Gewehr und eine neumodische engli-
sche Angelausrüstung, alles sehr nett und sauber und wohlhabend. Das alles
wäre ja auch schön und erfreulich gewesen. Aber was außerdem noch mitkam,
war eine Adoptivtochter namens Salome, die freilich alles andere in Schatten stellte. Weiß Gott, wie das wilde Kind gerade zu dem ernsten, ruhigen Mann
gekommen ist! Sie war eine ganz exotische Pflanze, von einem entfernten Vet-
ter irgendwo aus Brasilien oder Feuerland her, schön und sonderbar anzusehen und von absonderlichen Manieren.
Ihr wollt natürlich wissen, wie sie aussah. Das ist nicht so einfach – sie sah eben vor allem auffallend und exotisch aus. Ziemlich groß, nahe an zwanzig,
tadellos gewachsen, so daß vom Nacken bis auf die Füße alles gesund und er-
freulich erschien, namentlich Hals, Schultern, Arme und Hände waren kräftig, gedrungen und dabei beweglich und nobel. Das Haar üppig, dick, lang, von
einem dunklen Blond, um die Stirn herum ein wenig lockig, hinten in ein
großes Bündel geknüpft und mit einem Pfeil durchstochen. Vom Gesicht will
ich nicht zu viel sagen, es war vielleicht zu voll und der Mund vielleicht ein wenig groß, aber man blieb immer an den Augen hängen. Sie waren übergroß
und goldbraun und standen ein wenig vor. Wenn sie, wie gewöhnlich, vor sich
hinstarrte und lächelte und die Augen groß machte, war es wie ein Bild. Aber wenn sie einen ansah, war man verwirrt. Sie schaute so unbekümmert drauf
los, bald musternd, bald gleichgültig, ohne irgendeine Spur von Genieren oder Mädchenhaftigkeit. Nicht gerade frech, vielmehr wie ein schönes Tier, unverstellt und ohne alle Geheimnisse.
Und so führte sie sich auch auf. Was ihr gefiel oder nicht gefiel, verhehlte sie nicht; wenn ein Gespräch ihr langweilig war, schwieg sie hartnäckig still und blickte beiseite oder sah einen so ennuyiert an, daß man sich schämte.
Die Folgen sind klar. Die Frauenzimmer fanden sie unmöglich, die Männer
waren für sie entflammt. Daß ich mich eiligst in sie verliebte, versteht sich eo ipso. Es verliebten sich in sie
Weitere Kostenlose Bücher