Die Erzaehlungen 1900-1906
aber auch die Forstgehilfen, der Apotheker, die jüngeren Schullehrer, der Vizeamtmann, die Söhne der reichen Holzhändler,
des Fabrikanten und des Doktors. Da die schöne Salome sich mit aller Frei-
heit bewegte, allein spazieren ging, eine Menge Besuche machte und in ihrem
zierlichen Wägelein rings im Lande herumkutschierte, war die Annäherung
nicht schwer, und sie sammelte in kurzer Zeit eine schöne Zahl von Liebes-
geständnissen ein.
Einmal kam sie zu uns, Onkel und Cousine waren nicht da, und sie setzte sich zu mir auf die Gartenbank. Die Dirlitzen waren schon rot, das Beerenzeug reif, und Salome griff behaglich hinter sich in die Stachelbeeren. Nebenher nahm
sie am Gespräche teil, und wir waren bald so weit, daß ich mit feuerrotem
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Gesicht ihr erklärte, ich sei rasend in sie verliebt.
O, das ist nett, war die Antwort. Sie gefallen mir ganz gut.
Kennen Sie den älteren Griebel?
Den Karl? O ja, gut.
Das ist auch ein reizender junger Mann, er hat so schöne Augen. Er ist auch
in mich verliebt.
Hat er es Ihnen selber gesagt?
Gewiß, vorgestern. Es war drollig.
Sie lachte laut und legte dabei den Kopf zurück, so daß ich auf ihrem wei-
ßen, runden Hals die Adern sich bewegen sah. Ich hätte nun gern ihre Hand
genommen, wagte es aber nicht, sondern streckte ihr nur die meine fragend
entgegen. Da legte sie mir ein paar Stachelbeeren in die offene Hand, sagte
Adieu und ging davon.
Ich sah nun allmählich, wie sie mit allen den Anbetern ihr Spiel hatte und
sich über uns amüsierte, und ertrug von da an meine Verliebtheit wie ein
Fieber oder eine Seekrankheit, die ich mit vielen andern teilte und von der ich hoffte, sie würde einmal aufhören und mir nicht das Leben kosten. Immerhin
hatte ich böse Nächte und Tage . . . Ist noch Wein da?
Danke. – Also so standen die Sachen, und zwar nicht nur in jenem Sommer,
sondern mehr als ein Jahr lang. Hier und da fiel etwa einer der Liebhaber
verdrossen ab und suchte andere Gehege auf, hier und da kam ein neuer da-
zu, aber Salome blieb unverändert, bald fidel, bald still, bald höhnisch, und schien sich dabei herzlich wohl und belustigt zu fühlen. Und ich gewöhnte
mich daran, jedesmal in den Ferien einen Rückfall in die heftigste Verliebt-
heit wie ein der Gegend eigentümliches Fieber zu bekommen und aushalten
zu müssen. Ein Leidensgenosse teilte mir im Vertrauen mit, wir seien Esel gewesen, ihr Erklärungen zu machen, da sie unverhohlen des öftern den Wunsch
geäußert habe, alle Männer in sich verliebt zu wissen, und darum den wenigen Standhaften mit äußerstem Entgegenkommen um den Bart gehe.
Unterdessen war ich in Tübingen in die Burschenschaft eingetreten und brach-
te mit Trinken, Schlagen und Bummeln zwei muntere Semester hin. In dieser
Zeit war Hans Amstein mein Intimus geworden. Wir waren gleich alt, beide
begeisterte Burschenschafter und weniger begeisterte Medizinstudenten, wir
trieben beide viel Musik und wurden einander allmählich unentbehrlich trotz
mancher Reibereien.
Schon an Weihnachten war Hans mit mir des Onkels Gast gewesen, denn
auch er hatte längst keine Eltern mehr. Sehr wider mein Erwarten blieb er
aber nicht an der schönen Salome, sondern an meiner blonden Cousine hängen.
Auch hatte er schon das Zeug, sich angenehm zu machen. Er war ein feiner
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und hübscher Mensch, machte gute Musik und war nicht aufs Maul gefallen.
So sah ich mit Wohlbehagen zu, wie er sich um das Bäschen bemühte, und wie
sie gern nachgab und sich anschickte, den drolligen Kampf mit ihrer bisherigen Sprödigkeit mehr und mehr zum Scheingefecht werden zu lassen. Ich selber
lief nach wie vor auf allen Wegen, wo mir etwa die Salome begegnen konnte.
An Ostern kamen wir wieder, und während ich den Onkel beim Angeln
festhielt, machte mein Freund rasche Fortschritte bei der Cousine. Diesmal
war Salome ziemlich häufig bei uns, versuchte mit Erfolg, mich toll zu machen, und sah dem Spiel zwischen Hans und Berta aufmerksam und mit scheinbarem
Wohlwollen zu. Wir machten Waldspaziergänge, fischten, suchten Anemonen,
und während die Salome mir den Kopf vollends verdrehte, ließ sie die andern
beiden nicht aus den Augen, musterte sie überlegen und spöttisch und gab mir unehrerbietige Bemerkungen über Liebe und Brautglück zum besten. Einmal
erwischte ich ihre Hand und küßte sie eilig, da spielte sie die Empörte und
wollte Revanche haben.
Ich werde Sie dafür in den Finger beißen. Geben Sie
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