Die Erzaehlungen 1900-1906
her!
Ich streckte ihr einen Finger hin und spürte ihre großen, gleichmäßigen
Zähne im Fleisch.
Soll ich noch fester beißen?
Ich nickte, da floß auch schon Blut in meine Hand, und sie ließ mich mit
Gelächter los. Es tat scheußlich weh, und man sah es noch lange.
Als wir wieder in Tübingen saßen, teilte Hans mir mit, er sei mit Berta
einig und hoffe, sich im Sommer zu verloben. Ich besorgte in diesem Semester ein paar Briefe hin und her, und im August saßen wir beide wieder an des
Onkels Tisch. Mit dem Onkel hatte Hans noch nicht gesprochen, doch schien
dieser die Sache schon gerochen zu haben, und es war nicht zu fürchten, daß
er Schwierigkeiten machen würde.
Da kam eines Tages die Salome wieder zu uns, ließ ihre scharfen Blicke
herumgehen und kam auf den verdammten Einfall, der sanften Berta einen
Possen zu spielen. Wie sie dem harmlosen Amstein flattierte, ihn in ihre Nähe nötigte und mit Gewalt verliebt zu machen suchte, war einfach nicht mehr
schön. Er ging gutmütig darauf ein und es wäre ein Wunder gewesen, wenn
ihm diese Blicke und dies Anschmiegen und Sichergehen nicht heiß gemacht
hätten. Doch blieb er fest und hatte schon den Sonntag bestimmt, an dem er
den Onkel überrumpeln und Verlobung feiern wollte. Das blonde Kusinchen
strahlte schon so bräutlich und verschämt wie möglich.
Wir Freunde schliefen in zwei benachbarten Stübchen im Erdgeschoß mit
einem niederen Fenster, durch das man morgens mit einem kleinen Sprung in
den Garten kommen konnte.
Eines Nachmittags war die schöne Salome wieder stundenlang da; Berta
hatte im Haus zu tun, so nahm jene meinen Freund ganz in Anspruch und
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brachte mich durch die kühne und doch feine Art, wie sie sich ihm hinwarf,
fast zum Platzen, so daß ich schließlich ausriß und sie dummerweise mit ihm
allein ließ. Als ich am Abend wiederkam, war sie fort, aber mein armer Freund hatte Falten auf der Stirn, machte schlimme Augen und sprach von Kopfweh,
als er sah, daß sein verstörtes Wesen auffiel.
Ja, Kopfweh, dachte ich und schleppte ihn beiseite.
Was ist mit dir? fragte ich ernstlich, ich will’s wissen.
Nichts, es kommt von der Hitze, kniff er aus.
Aber ich verbat mir das Anlügen und fragte direkt, ob ihm die Oberförsters-
tochter den Kopf verdreht habe.
Unsinn, laß mich! sagte er, machte sich von mir los und sah scheußlich
elend aus. Ich kannte das ja ungefähr auch, aber er tat mir erbärmlich leid; sein Gesicht war verzogen und zerrissen und der ganze Mensch sah jammervoll
verhetzt und leidend aus. Ich mußte ihn in Ruhe lassen. Auch mir war über
dem Kokettieren wund und weh um Salome geworden, und ich hätte mir die
leidige Verliebtheit gern mit blutenden Wurzeln aus der Seele gerissen. Meine Achtung für Salome war längst dahin, jede Magd kam mir ehrbarer vor als
sie, aber da half nichts, sie hatte mich bei den Haaren; sie war zu schön und zu aufreizend, da war kein Loskommen möglich.
Ja, nun donnert’s draußen wieder. Es war damals ein ähnlicher Abend, heiß
und gewitterig, und wir beide saßen allein in der Laube beisammen, redeten
fast nichts und tranken Kaiserstühler.
Namentlich ich war durstig und mißmutig und trank von dem kühlen Weißen
Glas für Glas. Hans war elend und starrte traurig und bekümmert in den Wein, das vertrocknende Laub der Büsche roch stark und wurde von einem warmen,
bösartigen Wind jeweils geschüttelt. Es wurde neun Uhr und zehn Uhr, kein
Gespräch kam auf, wir hockten da und machten alte, sorgenvolle Gesichter,
sahen den Wein im großen Glaskrug abnehmen und den Garten dunkel werden,
dann gingen wir still auseinander, er zur Haustür, ich durchs Fenster in meine Stube. Dort war es heiß, ich setzte mich im Hemd auf einen Stuhl, steckte
eine Pfeife an und sah aufgeregt und melancholisch in die Finsternis hinein.
Es hätte Mondschein geben sollen, aber der Himmel stand voll von Wolken,
und in der Ferne hörte man zwei Gewitter miteinander zanken.
Es ging so eine schwüle Luft – aber was hilft das schöne Schildern, ich muß
nun doch darauf kommen, auf die verdammte Geschichte.
Die Pfeife war mir ausgegangen, und ich hatte mich ganz schlaff aufs Bett
gelegt, den Schädel voll von dummen Gedanken. Da gibt’s ein Geräusch am
Fenster. Eine Gestalt steht da und schaut vorsichtig ins Zimmer hinein. Ich
weiß selber nicht, warum ich still liegen blieb und keinen Ton von mir gab.
Die Gestalt verschwindet und geht drei Schritte weiter, an
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