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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Hansens Stuben-
    fenster. Sie bewegte den Fensterflügel, klirrte ein wenig damit. Dann wieder 105
    Stille.
    Da rief es leise: Hans Amstein! und mir lief es bis in die Haare hinauf, als ich die Stimme der Salome erkannte. Ich konnte kein Glied mehr rühren und
    lauschte scharf und wild wie ein Jäger hinüber. Herrgott, Herrgott, was sollte das werden! Und jetzt wieder die Stimme: Hans Amstein! Leise, scharf und
    eindringlich. Mir lief der Schweiß den Hals hinunter.
    In der Stube meines Freundes gab es ein wenig Geräusch. Er stand auf,
    kleidete sich flüchtig an und ging zum Fenster. Es wurde geflüstert, heftig und heiß, aber unheimlich leise. Herrgott, Herrgott! Mir tat alles weh, ich wollte aufstehen oder schreien, aber ich blieb ruhig liegen und war selber darüber
    verwundert. Der Durst und der herbe Nachgeschmack vom Wein brachten
    mich beinahe um.
    Und es gab wieder ein kleines Geräusch, und gleich darauf stand Hans Am-
    stein neben dem Mädchen im Garten. Zuerst jedes für sich, dann traten sie
    zusammen und drückten sich still und schrecklich aneinander, als würden sie
    mit einem Strick geschnürt. Und so aneinandergepreßt, daß sie kaum die Füße
    bewegen konnten, gingen sie langsam durch den Garten, an der Laube und
    am Brunnen vorbei und durch die Pforte gegen den Wald. Ich sah sie, mit
    angestrengten Augen, und zweimal kam das Wetterleuchten mir zu Hilfe . . .
    – Seid ihr nicht durstig? So trinkt doch!
    Ja, das ist nun erzählt. Aber weiter! Sie hatte ihn sich geholt, bei Nacht
    aus dem Bett, und ich wußte, daß er nun nimmermehr von ihr loskäme, da sie
    ihn da draußen im Wald hatte und mit süßen Worten und kecken Liebkosun-
    gen gefangennahm. Ich wußte aber auch, daß Hans bei aller Munterkeit ein
    Pflichtenmensch war, viel strenger als ich, und daß er da draußen keinen Kuß empfing und gab, ohne daß das Wissen um die betrogene Berta ihm die Seele
    zerriß. Und zugleich mußte ich daran denken, daß es meine schwere Pflicht
    war, ihn morgen ins Gebet zu nehmen. Zu dem allem kam die angenehme
    Vorstellung, meine Angebetete bei Nacht mit einem Mann im Wald zu wis-
    sen. Endlich raffte ich mich auf, einen Schluck Wasser zu nehmen, und legte
    mich dann auf den kühlen Fußboden, bis nach einer Stunde mein Freund leise
    und langsam zurückkam und durchs Fenster stieg. Ich hörte ihn hart Atem
    holen und noch lange in Socken auf und ab gehen, bis ich einschlief.
    Schon früh erwachte ich wieder, noch vor fünf Uhr, zog mich an und ging vor
    Hansens Fenster. Er lag im zerwühlten Bett und schlief einen tiefen, schwe-
    ren Schlaf, er hatte Schweiß auf der Stirn und sah elend aus. Ich lief ins Feld hinaus, sah still und abseits die kleine, schmucke Forstei liegen und Wiesen, Obstgärten, Acker und Wald wie sonst. Mein Kopf war wüster als je nach
    einer Kneiperei und eine kleine Weile kam mir im Hinschlendern das Gesche-
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    hene ganz abhanden wie ein Alp, der beim Erwachen fort ist, als wäre nichts
    gewesen.
    Als ich wieder in den Garten kam, stand mein Freund an seinem Fenster im
    Erdgeschoß, wandte sich aber, als er mich sah, sogleich ins Zimmer zurück.
    Diese kleine, feige Gebärde des bösen Gewissens tat mir unsäglich weh. Doch
    half das Bedauern nichts. Ich stieg zu ihm hinein. Als er sich nun mir zuwandte, erschrak ich stark, denn er sah grau und zerfurcht im Gesicht aus und hielt
    sich so mühsam auf den Beinen wie ein überjagter Gaul.
    Was hast du, Hans? fragte ich.
    Ach nichts. Ich hab nicht geschlafen. Die Schwüle bringt einen ja um.
    Aber er wich meinen Augen aus und ich fühlte noch einmal denselben bösen
    Schmerz wie vorher, als er vor mir vom Fenster floh. Ich setzte mich aufs
    Gesims und sah ihn an.
    Hans, sagte ich, ich weiß, wer bei dir gewesen ist. Was hat die Salome mit
    dir angefangen?
    Da sah er mich an, hilflos und schmerzlich, wie ein Wild beim Schuß.
    Laß gut sein, sagte er, laß nur gut sein. Es hilft ja nichts.
    Nein, mußte ich sagen, du bist mir Antwort schuldig. Ich will nichts von der Berta sagen und von ihres Vaters Haus, wo wir zu Gast sind. Das ist nicht
    die Hauptsache. Aber was soll aus uns werden, aus dir und aus mir und aus
    dieser Salome? Wirst du nächste Nacht wieder mit ihr da hinausgehen, Hans?
    Er stöhnte. Ich weiß nicht. Ich kann jetzt kein Wort sagen. Nachher, nachher.
    Da war einstweilen nichts zu wollen. Ich ging zum Kaffee hinauf und sagte
    droben, Hans schlafe noch. Dann nahm ich meine Rute und wollte in die kühle
    Schlucht

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