Die Erzaehlungen 1900-1906
ehrenwerter Mann und zeigte sich den ganzen Abend
so freundlich zu mir, daß ich ihm vor dem Schlafengehen meine Papiere zeigte und ihm eröffnete, daß ich selbst der Bastian sei, mit dem sich jene Chemnitzer Sache zugetragen habe. Da sah er mich scharf an, gab mir die Hand und sagte, ich tue ihm leid, möge mir aber das Unglück nicht über den Kopf wachsen
lassen. Was geschehen sei, sei nicht zu ändern; ein braver Handwerker aber,
wenn er nur wolle, sei immer ein nützlicher Mensch und finde sein Glück
und Brot in der Welt. Wir gingen zu Bett und ich schlief sehr gut, da ich
in der letzten Zeit zur Nacht nur selten ein richtiges Bett gehabt hatte. Am andern Morgen gab der Metzger mir einen Empfehlungsbrief nach Freiburg
im Breisgau mit, wo ein Bruder von ihm Schlosser war. Außerdem schenkte
er mir eine Mark und sprach mir nochmals sehr freundlich zu.
Mit guten Vorsätzen machte ich mich auf den Weg. Es schien mir nun wie-
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der, als ob doch noch ein Platz für mich in der Welt und ein Auskommen mit
den Menschen in Güte möglich wäre. Ich fand auch den Freiburger Schlosser,
doch hatte er keine Arbeit. Er gab mir zu essen, und steckte mir wieder eine Empfehlung an einen Meister in Basel zu, mit dem er befreundet war. Mein
Paß war noch gültig und mein Arbeitsbüchlein in Ordnung, so kam ich un-
geschoren über die Grenze und nahm in Basel in der Herberge zur Heimat
Quartier. Ich war abends angekommen und lief gleich am andern Morgen mit
meinem Brief zu dem Meister, dem ich empfohlen war. Aber auch der hatte
mir keine Arbeit. Ich beschloß noch einen oder zwei Tage in Basel zu bleiben und Arbeit zu suchen, denn die
Heimat
ist dort sehr gut und Basel eine
große wohlhabende Stadt, wie ich oft gehört hatte.
Zu meinem Unglück fiel jetzt ein Landregen ein, der mich vom Wandern
abhielt und zehn Tage dauerte. Am Ende dieser zehn Tage hatte ich keine
Arbeit gefunden, mein Geld war zu Ende und ich wußte zum erstenmal nicht,
was ich essen und wo ich schlafen sollte. Ich begann in der Stadt vorsichtig zu fechten und hielt mich damit noch einige Tage hin. Dann verließ ich Basel und zog ohne Geld in die Schweiz hinein. Ich wäre gern direkt nach Süden
gegangen, wagte es aber nicht, weil im Jura meist französische Dörfer sind.
Deshalb wendete ich mich gegen OIten und schlug mich sehr kümmerlich bis
in die Luzerner Gegend durch. Von da an begann ein neues Leben für mich.
Bei Emmenbrücke nämlich fand ich einen Kunden schlafend an der Straße
liegen. Da ich im Sinn hatte, ihn um Weg und Rat zu fragen, ging ich auf ihn zu und erkannte plötzlich den Hans Louis Quorm. Da ich ihn nicht aufzuwecken
wagte, setzte ich mich neben ihn ins Gras und hörte seinem ruhigen Atmen
zu. Er trug saubere Kleider und sah gesund und rüstig aus.
Als Quorm erwachte, sah er mich einen Augenblick lang mißtrauisch und
unfreundlich an. Aber plötzlich, noch ehe ich etwas gesagt hatte, sprang er
auf, gab mir die Hand und rief:
Du bist der Schlosser, den ich vor ein paar
Jahren einmal drunten bei Bingen getroffen habe.
Nun war alles gut, ich fühlte mich geborgen.
Seither sind zehn Jahre vergangen und während all dieser Zeit bin ich mit
Quorm befreundet geblieben. Als er starb und ich es erfuhr, war mir nicht
anders, als wenn ich zugleich einen Vater und einen Freund verloren hätte.
Mehrmals bin ich monatelang mit ihm gewandert. Wir sind in der gan-
zen Schweiz, in Österreich, im Bayrischen, am Rhein und bis nach Hamburg
zusammen gereist, alles zu Fuß und bei derlei Wetter und Jahreszeit. Wenn
ich arbeiten wollte, so verschaffte er mir Arbeit, denn er war auch mit vielen Meistern befreundet; sonst gab oder verschaffte er mir, so oft ich es brauchte, Essen, Kleider und Geld. Es war nicht alles redlich verdient, auch nicht alles gefochten, sondern er hat stets genommen, was ihm nahe lag. Trotzdem ist er
aber nie ein Lump gewesen Er hat gestohlen, aber nie einem Armen und nie
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mehr als er gerade brauchte. Er hat auch für sich und noch öfter für andre sogenannte
Flebben , falsche Ausweispapiere gemacht, aber wem konnte das
Schaden tun?
Gearbeitet freilich hat er nur in den Zeiten, die er im Arbeitshaus zubrachte, und wohl auch dort nicht viel. Er hatte keine Freude daran und gestand nur
ungern, daß er einmal die Schusterei erlernt habe. Noch ehe ich dies wußte,
kam ich einmal zufällig mit ihm auf die Schusterei zu sprechen und sprach
mich eher geringschätzig über dies Handwerk
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