Die Erzaehlungen 1900-1906
zugänglich war. Es tönte darin von
Tempeln, Einsamkeiten, wüsten Meeren, Zypressenhainen, welche stets von
einem zagen Jüngling unter schweren Seufzern besucht wurden. Man begriff
wohl, daß es symbolisch gemeint war, aber damit war wenig gewonnen.
In der Universitätsstadt verbrachte Karl Eugen die Abende, die ihm das
Dichten übrig ließ, meist in derselben kleinen Kneipe in der Nähe der Reit-
schule, wo bei Wein und Knobelbecher einige fallitgegangene Studentchen ihre Jugend vertrauerten. Es waren lauter geniale Kerle, Leute, die einen ganzen
Hörsaal voll Streber aufwogen, die auf Gott und die Welt flöteten und dem
Leben seine paar Geheimnisse längst abgezwungen hatten. Eben darum taten
sie auch nichts mehr als dasitzen, trinken und knobeln, die Partie um zehn
Pfennig.
Der Dichter stand im fünften Semester. Da kam einstmals ein schwüler Tag –
Widersacher, Weiber, Schulden –, die Widersacher aber waren die Professoren, denen Karl Eugens längeres Verweilen an der hohen Schule weder notwendig
noch erwünscht erschien. Und der Abgründige setzte sich hin und schrieb an
Herrn Georg Eiselein, Kolonialwarenhändler in Gerbersau, einen Brief:
Lieber Vater!
Dieser Tage – ich bin schon am Packen – komme ich zu Euch nach Hause
und denke längere Zeit zu bleiben. Es ist Zeit für mich, an ein ernstes Schaffen 137
zu gehen, dazu kommt man hier ja nie. Bitte räumt mir meine Ferienstube
ein. Führst Du den feineren holländischen Tabak eigentlich noch im Laden,
oder muß ich von hier mitbringen? Alles weitere mündlich. Dein Sohn K. E.
Noch nie war ein so sanfter Brief von ihm gekommen, so entschlossen, still und männlich. Der Vater war hoch erfreut, bestellte eine Sendung von dem Tabak,
den er nicht mehr hatte führen wollen, und bat Frau Eiselein, die Stube für
den Heimkehrenden bereit zu machen. Es wurde gescheuert, gekratzt, gerückt
und geklopft, der Lehnstuhl neu überzogen, die Fenster gewaschen und mit
frischen Vorhängen versehen. Man konnte sich das jetzt leisten – ein wohlig
tiefes Aufatmen ging durch das gedrückte Hauswesen, da seine Kräfte aufhören sollten, für den Entfernten zu verbluten.
Es kam ein Koffer mit Kleidern und zwei schwere Bücherkisten, und am
nächsten Tage kam der Sohn selber. Der Alte war ganz gerührt, ihn zu sehen,
wie still und ernst er geworden war. Dankbar bezog jener die behagliche Stube, stellte Bücher auf und hängte Pfeifen und Bilder an die Wände, darunter das
Porträt eines Dichters, dessen Werke für die Jünger des
Abgrundes
eine Art
Bibel waren. Es war ein Brustbild in modernster Schwarzweißmanier, sichtlich gewaltig übertrieben, und stellte einen jungen Mann mit bösartigen Augen,
sorgenvoller Stirne und ungemein hochmütigem Munde vor, Kragen und Bin-
de von der allermodischsten Fasson. Im Hintergrund war man erstaunt, die
Abbildung eines berühmten Reiterstandbildes aus der schönen wilden Con-
dottierizeit zu erblicken, dessen kühle Kühnheit den vorne abgebildeten Ner-
venkünstler zu verhöhnen schien. Die umfangreiche Büchersammlung enthielt
einige Griechen und Lateiner, ein paar Grammatiken und Wörterbücher aus
der Schulzeit her, Zellers Geschichte der griechischen Philosophie und zwei
Bände aus dem Handbuch für klassische Philologie, alles andere war
schöne
Literatur . Hier sah man die Werke junger Autoren, die aber schon viel ge-
schrieben hatten, in Umschlägen von dämonisch lodernder Farbe, mit geheim-
nisvollen Linearkünsten von ebenso jungen und fleißigen Malern bedeckt, und
wer die Sprache dieser Farben und Linien nicht verstand, der konnte aus den
Titeln auf die Fülle und Tiefe des Inhalts schließen.
Das All. Eine Trilo-
gie
–
Violette Nächte
–
Mysterien der Seele
Die vierzehn geheimen
Tröstungen der Schönheit . Das waren einige davon. Die meisten waren mit
Widmungen des einen Dichters an den andern versehen, eines aber war der
Schlange Zarathustras und ein anderes dem sechsten Erdteil gewidmet. Die
paar gewöhnlichen Schweinereien
aus Demimonde
und dergleichen, die sich
irgendwie in diese stolzen Kreise verirrt hatten und deren Umschläge min-
der schön, aber viel deutlicher als die der anderen waren, krochen schmal
und schamhaft zusammen. Ein teilweise aufgeschnittener Dante lehnte sich
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an einen ganz aufgeschnittenen deutschen Boccaccio. Ein paar Bände des
Zürchers Meyer erweckten im Beschauer den Verdacht, es möchten sich von
den verstorbenen
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