Die Erzaehlungen 1900-1906
wußte nun, welche Stunde es geschlagen habe. Wenn
wenigstens der Vater hingereist wäre! Aber die Mutter! Sie würde nichts ver-
gessen, ihr würde nichts verborgen bleiben, sogar über die vergessenen und
vergebenen ersten Semester würden ihr blutrote Lichter aufgehen.
Vier stille, scheue, bange Tage vergingen, voll Mißtrauen und Zweifel für
den Vater und voll Spannung und Qual für den jungen. Sie sprachen nicht
miteinander, obwohl beide den Wunsch dazu in sich trugen. Der Sohn mochte
nichts sagen, ehe er wußte, wie viele seiner Sünden entdeckt seien. Der Vater war zum ersten Mal unversöhnlich und tief empört, da er auf die scheinbare
Besserung Karl Eugens, die sich nun als Komödienspiel erwies, heimlich schon wieder herrliche Hoffnungen gebaut hatte.
Am fünften Tage kam Frau Eiselein zurück, und jede verschwiegene kleine
Hoffnung, die der Alte und der Junge etwa noch genährt hatten, sank in
Staub und Trümmer. Sie wußte nicht nur genau, wieviel Schulden ihr Sohn
noch hatte, sie wußte auch alles andere. Daß es mit dem Studium aus und
vorbei und das Geld für all die Semester weggeworfen und verloren war. Daß
der Studiosus aus der Burschenschaft nicht ausgetreten, sondern gewimmelt
worden war. Daß er sein Zimmer mit einer japanischen Tapete und unzüchtigen
Bildwerken geschmückt, daß er Verhältnisse mit schlimmen Weibern gehabt
und für eine vom Theater eine Brosche gekauft hatte. Und vieles andere von
dieser Art.
Nachdem sie vor dem betretenen Sünder und dem gebrochenen Vater alles
sachlich und geläufig berichtet und hergezählt hatte, setzte sich die Mutter auf einen Stuhl, blickte ihren Sohn durch und durch und sagte:
So, was sagst du
dazu? Ist’s wahr oder nicht?
Es ist wahr , bestätigte er leise.
Bist du ein Lump oder nicht?
Mama –
Ja oder nein!
Ja , flüsterte er und wurde fuchsrot.
Jetzt kannst du mit ihm reden, Schorsch , sagte sie zum Papa, dessen
Entrüstung nun verzweifelt losbrach. Alle Kraftworte, die er früher an dem
Buben gespart hatte, stürzten nun verspätet und hitzig hervor, so daß der
Malefikant seinen Vater kaum mehr kannte, während zu seinem Erstaunen die
Mutter ruhig sitzen blieb und mit merkwürdigem Mienenspiel das Losheulen,
Wüten und Verrollen des großen Donnerwetters beobachtete.
Du kannst uns jetzt allein lassen , sagte sie ruhig zu Karl Eugen, als der
Vater verstummte, in seinen Sessel sank und mit dem Ersticken rang. Wieder
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hatte sich das Zünglein der Waage bewegt und von diesem Tage an hatte die
kluge, entschlossene Frau den Schwerpunkt der häuslichen Macht auf ihre Seite gebracht. Es wurden keine Worte darüber verloren, aber Eiselein senior tat nun vollends gar nichts mehr, ohne sie vorher mit stummer Frage anzublicken, und der Junior witterte und begriff, daß er von nun an seinen Wandel allein vor
den Augen der Mutter zu führen und zu rechtfertigen haben werde. Darum
fügte er sich ihr schweigend und wartete lautlos, bis die Reihe an ihn käme, mit ihr zu reden.
Das geschah denn auch bald und gründlich. Er bekam nichts geschenkt,
vom Indianerzug bis zur japanischen Tapete fand er seine Vergehen und La-
ster treu gezählt und gebucht, und die Abrechnung schloß für ihn mit einem
bodenlosen Minus. Zugleich hielt die Mutter es jetzt für angezeigt, ihm die ver-schlimmerte Lage des väterlichen Handels und Vermögens zu eröffnen, nicht
ohne nachdrücklich darauf hinzuweisen, wie erheblich er, der Sohn, an diesem Rückgang mitschuldig war.
So stehen die Sachen , schloß sie endlich,
und an deinen Schulden haben
wir mindestens noch vier, fünf Jahre zu büßen. Was soll jetzt mit dir werden?
Karl Eugen hatte mehrmals Miene gemacht, die lebhafte, aber sachliche
Darlegung seiner Mutter zu unterbrechen, war aber streng zur Ruhe verwiesen
worden. Nun saß er da, geschlagen und vernichtet, und sollte Antwort geben.
Mit finsterer Miene erhob er sich, rückte den Stuhl und sagte:
Ich weiß nichts
zu sagen, du würdest mich doch nicht verstehen. Es ist besser, ich gehe jetzt fort; wenn ich mein Ziel erreiche, hört ihr wieder von mir, im andern Falle bin ich nicht der erste, der so zugrunde gegangen ist.
Und schon näherte er sich der Tür, fast stolz auf sein Elend und auf den
tragischen Ton, in dem er seine Worte vorgebracht hatte. Aber die Mutter rief ihn zurück.
Du bleibst gefälligst sitzen , sagte sie,
bis ich fertig bin.
Er nahm leise wieder Platz. Sie lachte vor sich hin.
Soll denn die
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