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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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biederen und schlichten Poeten der vormodernen Epoche
    noch mehrere vorfinden. Dies erwies sich jedoch als unbegründet.
    Es war Hochsommer und Karl Eugen ging manchmal, mit einem Buch in der
    Tasche, in den Tannenwald hinaus, um dort im Schatten zu lesen. Der Wald
    selber interessierte ihn nicht. Die Freude an der rohen Natur, die von jeher nicht sehr stark in ihm gewesen war, hatte ihm jener Condottiere-Dichter
    vollends abgewöhnt, und in der feinen Schule des Engländers Oscar Wilde
    hatte er gelernt, daß die Natur stets nur das Mittelmäßige zu schaffen vermag, im Gegensatz zur Kunst, deren neidische Feindin sie sei. Zu Hause hielt er sich stets beiseite in seinem Zimmer; die Umgebung dort, namentlich der Laden
    mit seinen Geräuschen und Gerüchen, war allzu stillos und vulgär. Er saß da, rauchte, schrieb und las in jenen Büchern mit den sonderbaren Titeln und
    Umschlägen. Mit Vorliebe las er die beiden Bücher von Oscar Wilde, die er
    besaß. Sie waren übersetzt; Englisch konnte er nicht. Das eine davon hatte
    er noch als Burschenschafter kennengelernt und gekauft, und einst hatte es
    bittere Händel mit einem Bundesbruder gegeben, der das Buch verrückt fand
    und den Verfasser eine Zeitlang den
    wilden Oskar
    nannte. Es war nicht zu
    sagen, wie viel er diesem Engländer verdankte.
    Es mochte von dieser Lektüre herrühren, daß seine eigene Arbeit nicht recht
    gedeihen wollte. Er hatte die Absicht, ein ausbündig tiefes und feines Buch zu schreiben in einer Art lyrischer Prosa, deren Vorbilder die Lieder im
    Zarathu-
    stra
    waren. Aber die beständige Beschäftigung mit so raffinierten Büchern
    machte ihn immer wieder unfähig, sie raubte ihm Zeit und Kräfte und machte
    ihn manchmal ganz mutlos, da es ihm vorkam, das Auserlesenste und Feinste
    sei alles längst von anderen gesagt. Es fehlte ihm nicht an Gedanken, aber
    den einen hatte Nietzsche, den andern Dehmel, den dritten Maeterlinck schon
    ausgesprochen. Und auch seine Stimmungen, seine Leiden, seine Sehnsucht –
    alles stand schon da und dort in schönen Büchern, gesungen, geseufzt oder
    gestammelt. Und wenn er sich selber ironisch betrachten wollte, worauf er gut eingeübt war, so kam wieder ein Bild heraus, das auch schon – sei es von Verlaine, sei es von Bierbaum oder einem andern – wiederholt und gut gezeichnet längst vorhanden war. Vielleicht hätte er daraus den Schluß ziehen sollen, daß er eben nichts Neues zu sagen wisse und darum besser tue, das Papier zu
    sparen und sich auf anderes zu verlegen.
    Aber das hatte allerdings einen Haken. Von einer Rückkehr zum Brotstu-
    dium konnte wohl nicht die Rede sein, weil keinerlei Anfang da war. Er hatte nie zu studieren begonnen. Und es fror ihn, wenn er an den unentrinnbaren
    Tag dachte, an dem diese schmerzliche Wahrheit aufhören würde sein Geheim-
    nis zu sein. Bisher hatte er immer gehofft, eines Tages plötzlich mit
    seinem
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    Werk
    hervorzutreten und dadurch die verbummelten Jahre zu rechtfertigen.
    Er hoffte es auch jetzt noch, aber mit weniger Zuversicht. Zwar druckte
    Der
    Abgrund
    immer wieder Gedichte von ihm ab, aber er zahlte nichts dafür und
    die Bedingung, daß nur von Abonnenten unter Einsendung der Abonnement-
    squittung Beiträge aufgenommen wurden, kam ihm neuestens nicht mehr so
    harmlos vor wie im Anfang. Andere Zeitschriften, an die er sich wandte, gaben keine Antwort oder schickten ihm seine Verse eiligst zurück, manchmal sogar
    mit höhnischen Glossen.
    Wenn er hätte schreiben wollen wie diese altmodischen Romanfabrikan-
    ten und derartige Leute, dachte er, würde der Erfolg nicht ausbleiben! Aber
    wer nur das Eigenste, Innerste, Persönlichste darbot, wer seinen Stolz in die Prägung neuer Formen, in die Pflege einer priesterlich reinen, feiertäglichen Sprache setzte, mußte natürlich zum Märtyrer des Ideals werden. Nein, wenn
    auch nie Erfolg und Ruhm ihn belohnte, er würde doch niemals von etwas an-
    derem reden und singen als von den erlesenen tiefen Stimmungen und Visionen
    seiner innerlichsten Stunden.
    Eines Tages tauchte eine neue Hoffnung in ihm auf. Er schrieb Briefe an
    die beiden Dichter, die er am meisten verehrte. Darin schilderte er, wie ihre Werke ihm Offenbarung gewesen seien, drückte seine kniefällige Verehrung
    aus und schloß mit der Bitte um Rat in seinen Dichternöten, fügte auch eine
    Abgrund Nummer und einige Gedichte bei.
    Und siehe, beide Größen antworteten. Der eine schrieb im feierlichsten Stil, die Kunst sei

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