Die Erzaehlungen 1900-1906
werden, auch nicht eine peinliche, zögernd geführte Unterredung über den starken Geldverbrauch. Ein so kost-135
spieliges Semester durfte nicht wiederkommen, die Geschäfte gingen schwach,
und es mußte doch auch für nachher etwas übrig bleiben.
Überhaupt wurde im Verkehr mit den Eltern, mündlich und brieflich, das
leidige Geld mehr und mehr zum Kardinal- und Angelpunkt. Daß Herr Eiselein
sich stark verrechnet hatte, konnte bald jeder Beobachter merken.
Es gibt kaum etwas so peinlich Rührendes, als wenn ein ehrenhafter Bürger,
der bislang zu den Wohlhabenden zählte, allmählich mehr und mehr in ein
armseliges Sparen hineingerät. Er könnte sehr gut einen neuen schwarzen Rock brauchen, aber der alte muß weiter dienen und wird nach und nach zum Sinnbild des ganzen rückwärtsgehenden Hauswesens. Er wird immer ein wenig
brauner, ein wenig fettiger, die Schulternähte werden deutlicher und schärfer wie zunehmende Sorgenfalten, die Ärmel beginnen auszufransen, bis eine aufgenähte Litze dem Verfall vorläufig Einhalt tut und als erstes Notflickwerk
entstellend in den Baustil des Kleides eingreift.
Ganz so weit war es mit Eiselein noch nicht, aber die Vorzeichen häuften
sich. Für seinen Stand und sein Städtchen war er wohlhabend gewesen, der
Laden hätte auch noch ein paar Kinder bequem mit ernährt, aber der in immer
fremdere und großartigere Verhältnisse hineinwachsende Sohn fraß alles auf.
Es blieb nicht aus, daß er das stets häufiger zu hören bekam und daß das
Verhältnis zwischen Sohn und Eltern allmählich in einen vorsichtigen, zähen, fast erbitterten Krieg ums Geld ausartete.
Unterdessen folgte dem ersten Semester das zweite, dazwischen Ferien voll unbehaglich schwüler Stimmung, und das Geldausgeben nahm eher zu statt ab.
Im dritten Semester meldete aber der Sohn plötzlich, er sei aus der Burschenschaft ausgetreten, deren geistloses Leben ihn seinen literarischen Studien zu sehr entzogen und entfremdet habe. Die Reitkurse, Dedikationen, Ausflüge,
Mützen und Bänder und dergleichen verschwanden vom Budget und machten
starken Buchhändlerrechnungen Platz. Und eines Tages kam unter Kreuzband
die neueste Nummer einer merkwürdigen Zeitschrift und enthielt ein langes
Gedicht von Karl Eugen. Das Blatt hieß
Der Abgrund , erschien zweimal
im Monat, kostete jährlich zwanzig Mark und hatte sich die Aufgabe gestellt, bedeutenden jungen Talenten der neuesten literarischen Richtung den Weg in
die Öffentlichkeit zu bahnen. Herr Eiselein verstand weder das Gedicht seines Sohnes noch die anderen Beiträge, freute sich aber doch dieses ersten Erfolges und nahm an, daß eine so vornehme, fettgedruckte und teure Zeitschrift jedenfalls ihre Mitarbeiter auch ordentlich bezahlen werde. Er schrieb in diesem Sinne an den Studenten, bekam aber keine Antwort.
Als dieser wieder einmal für ein paar Wochen heimkehrte, hatte er sich
erheblich verändert. Die Eleganz der Kleidung war verschwunden und statt
136
ihrer trat eine zwischen stromerhaft und künstlermäßig schwankende genia-
le Nachlässigkeit zutage. Ein paar große Flecken auf den Rockärmeln schie-
nen ihn gar nicht zu stören, nur auf die Farben und Schlingung seiner großen selbstgeknüpften Flatterschlipse legte er noch Wert. Sein Hut war schwarz und weich und hatte Ränder von mehr als italienischer Breite. Statt der Zigarren rauchte er jetzt grobe, kurze Pfeifchen aus Holz oder Ton. Sein Benehmen war ironisch schlicht. Da auch seine Rechnungen diesmal etwas schlichter waren,
fanden die Eltern keinen Grund, diese Veränderung zu tadeln, sondern hofften nun einen bescheidenen und fleißigen Kandidaten aus ihm werden zu sehen.
Er hütete sich auch, diese Träume zu stören oder gar zu erzählen, welche
Wege die unter dem Titel von Kollegiengeldern bezogenen Summen gegan-
gen waren. Wenn etwa einmal von Examen und dergleichen Dingen die Rede
war, schmückte ein ernstes, schwermütiges Lächeln seine Lippen, welche jetzt ein ungepflegter Stoppelbart umrahmte. Alle vierzehn Tage aber brachte die
Post den
Abgrund , und mehrmals enthielt er Gedichte des Studenten. Es
war merkwürdig – der junge Mann schien durchaus gesund, verständig und
harmlos zu sein, diese Gedichte aber waren zumeist krank, unverständlich und todeselend, als wäre es wirklich ein Abgrund, der ihn verschlungen hätte. Die andern waren nicht besser, alles klang wie ein spukhaft idiotisches Gewinsel, dessen Sinn nur besonderen Eingeweihten
Weitere Kostenlose Bücher