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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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werden, auch nicht eine peinliche, zögernd geführte Unterredung über den starken Geldverbrauch. Ein so kost-135
    spieliges Semester durfte nicht wiederkommen, die Geschäfte gingen schwach,
    und es mußte doch auch für nachher etwas übrig bleiben.
    Überhaupt wurde im Verkehr mit den Eltern, mündlich und brieflich, das
    leidige Geld mehr und mehr zum Kardinal- und Angelpunkt. Daß Herr Eiselein
    sich stark verrechnet hatte, konnte bald jeder Beobachter merken.
    Es gibt kaum etwas so peinlich Rührendes, als wenn ein ehrenhafter Bürger,
    der bislang zu den Wohlhabenden zählte, allmählich mehr und mehr in ein
    armseliges Sparen hineingerät. Er könnte sehr gut einen neuen schwarzen Rock brauchen, aber der alte muß weiter dienen und wird nach und nach zum Sinnbild des ganzen rückwärtsgehenden Hauswesens. Er wird immer ein wenig
    brauner, ein wenig fettiger, die Schulternähte werden deutlicher und schärfer wie zunehmende Sorgenfalten, die Ärmel beginnen auszufransen, bis eine aufgenähte Litze dem Verfall vorläufig Einhalt tut und als erstes Notflickwerk
    entstellend in den Baustil des Kleides eingreift.
    Ganz so weit war es mit Eiselein noch nicht, aber die Vorzeichen häuften
    sich. Für seinen Stand und sein Städtchen war er wohlhabend gewesen, der
    Laden hätte auch noch ein paar Kinder bequem mit ernährt, aber der in immer
    fremdere und großartigere Verhältnisse hineinwachsende Sohn fraß alles auf.
    Es blieb nicht aus, daß er das stets häufiger zu hören bekam und daß das
    Verhältnis zwischen Sohn und Eltern allmählich in einen vorsichtigen, zähen, fast erbitterten Krieg ums Geld ausartete.
    Unterdessen folgte dem ersten Semester das zweite, dazwischen Ferien voll unbehaglich schwüler Stimmung, und das Geldausgeben nahm eher zu statt ab.
    Im dritten Semester meldete aber der Sohn plötzlich, er sei aus der Burschenschaft ausgetreten, deren geistloses Leben ihn seinen literarischen Studien zu sehr entzogen und entfremdet habe. Die Reitkurse, Dedikationen, Ausflüge,
    Mützen und Bänder und dergleichen verschwanden vom Budget und machten
    starken Buchhändlerrechnungen Platz. Und eines Tages kam unter Kreuzband
    die neueste Nummer einer merkwürdigen Zeitschrift und enthielt ein langes
    Gedicht von Karl Eugen. Das Blatt hieß
    Der Abgrund , erschien zweimal
    im Monat, kostete jährlich zwanzig Mark und hatte sich die Aufgabe gestellt, bedeutenden jungen Talenten der neuesten literarischen Richtung den Weg in
    die Öffentlichkeit zu bahnen. Herr Eiselein verstand weder das Gedicht seines Sohnes noch die anderen Beiträge, freute sich aber doch dieses ersten Erfolges und nahm an, daß eine so vornehme, fettgedruckte und teure Zeitschrift jedenfalls ihre Mitarbeiter auch ordentlich bezahlen werde. Er schrieb in diesem Sinne an den Studenten, bekam aber keine Antwort.
    Als dieser wieder einmal für ein paar Wochen heimkehrte, hatte er sich
    erheblich verändert. Die Eleganz der Kleidung war verschwunden und statt
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    ihrer trat eine zwischen stromerhaft und künstlermäßig schwankende genia-
    le Nachlässigkeit zutage. Ein paar große Flecken auf den Rockärmeln schie-
    nen ihn gar nicht zu stören, nur auf die Farben und Schlingung seiner großen selbstgeknüpften Flatterschlipse legte er noch Wert. Sein Hut war schwarz und weich und hatte Ränder von mehr als italienischer Breite. Statt der Zigarren rauchte er jetzt grobe, kurze Pfeifchen aus Holz oder Ton. Sein Benehmen war ironisch schlicht. Da auch seine Rechnungen diesmal etwas schlichter waren,
    fanden die Eltern keinen Grund, diese Veränderung zu tadeln, sondern hofften nun einen bescheidenen und fleißigen Kandidaten aus ihm werden zu sehen.
    Er hütete sich auch, diese Träume zu stören oder gar zu erzählen, welche
    Wege die unter dem Titel von Kollegiengeldern bezogenen Summen gegan-
    gen waren. Wenn etwa einmal von Examen und dergleichen Dingen die Rede
    war, schmückte ein ernstes, schwermütiges Lächeln seine Lippen, welche jetzt ein ungepflegter Stoppelbart umrahmte. Alle vierzehn Tage aber brachte die
    Post den
    Abgrund , und mehrmals enthielt er Gedichte des Studenten. Es
    war merkwürdig – der junge Mann schien durchaus gesund, verständig und
    harmlos zu sein, diese Gedichte aber waren zumeist krank, unverständlich und todeselend, als wäre es wirklich ein Abgrund, der ihn verschlungen hätte. Die andern waren nicht besser, alles klang wie ein spukhaft idiotisches Gewinsel, dessen Sinn nur besonderen Eingeweihten

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