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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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überstanden hatte, träumte er
    hold verschämt davon, wie es wäre, wenn seine Salamigedichte nun doch ihren
    Weg zu irgendeiner jungen Schönen und Gnade bei ihr fänden, und wäre in
    diesem Falle sehr gerne bereit gewesen, seine Gefühle auf selbige zu übertragen.
    Da dies ein Traum blieb, war er froh, als die Ferien zu Ende gingen. Er packte seine schwere Mappe sorgfältig ein und kehrte etwas stiller, als er gekommen war, in die Stadt und Schule zurück.
    Seine Briefe begannen in dieser Zeit eine großartige und manchmal schwer
    verständliche Sprache anzunehmen. Zuzeiten ließen sie auch lange auf sich
    warten, bis die Mutter mahnte.
    Und wieder kam Karl Eugen in die Ferien. Er war jetzt ausgewachsen, trug
    sich sehr elegant und hatte völlig erwachsene Manieren. Unter anderm kam
    er gleich am zweiten Tage lächelnd in den Laden herunter, suchte sich mit
    Umsicht eine Zigarre aus und zündete sie an.
    Ja, seit wann rauchst du
    denn?
    fragte der Papa; da war Karl Eugen erstaunt und fast entrüstet, daß
    man das nicht selbstverständlich fand. Leicht und zierlich schenkte er sich, während der Vater mit ihm sprach, einen Magenbitter aus der Flasche und
    setzte jenen dadurch vollends so in Erstaunen, daß er verstummte. In seiner
    Stube lagen die Werke von Heinrich Heine und ein paar moderne Romane
    herum, statt der dicken Versmappe hatte er ein Heftlein mitgebracht mit dem
    Titel:
    Schlamm. Ein Schauspiel von K. E. Eiselein.
    Auf der nächsten Seite
    stand ein ellenlanges Personenverzeichnis.
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    Die Ferien verliefen still und heiter. Das folgende Schuljahr aber brachte
    einen kleinen Sturm. Es kam ein Schreiben des Pensionsherrn – des Inhalts,
    der Bursche sei auf schlimmen Wegen, habe sich wiederholt nachts aus dem
    Hause entfernt, sei kürzlich in einer Kneipe getroffen worden und stehe so-
    gar im Verdacht, Umgang mit einer Kellnerin zu haben. Und während die
    erschrockenen Eltern noch trostlos und ratlos über diese Greuel nachdachten, kam ein Brieflein vom Sohn selber, liederlich auf einen Fetzen gekritzelt, darin stand:
    Ich brauche bis Mittwoch zwölf Mark So Pf. Wenn Ihr mir’s nicht
    geben könnt, erschieße ich mich. Karl Eugen.
    Das war also der Schlamm. Doch verlief diese Sache ruhiger, als man gedacht
    hätte. Die Mutter reiste in die Hauptstadt, die Kneipschulden des Buben
    wurden bezahlt, er selber kam unter strenge Aufsicht, zeigte echte Reue und
    legte eine Zeitlang eine musterhafte Bescheidenheit an den Tag. Dann fing er allmählich wieder an, den Feinen zu spielen, und bezeichnete gelegentlich in Gesprächen und Briefen jene böse Affäre als einen komischen und verzeihlichen Jugendstreich gleich jener Amerikafahrt.
    Je näher der Abschluß der Gymnasialjahre heranrückte, desto häufiger und
    deutlicher erinnerte Karl Eugen daran, daß er zum Dichter geboren sei und
    daher unmöglich ein Brotstudium ergreifen könne. Geschichte und Philosophie
    waren die einzigen Fächer, denen er einen bedingungsweisen Wert zugestehen
    konnte. Aber hier zeigte sich zum erstenmal der Vater zäh, und auch nachdem
    er einige Gedichte seines Sohnes gelesen hatte, beharrte er fest dabei, daß dieser ein solides Studium und einen bestimmten Beruf erwähle. Als Karl Eugen
    sah, daß er diesmal in einen lecken Kübel schöpfe, machte er eine entgegen-
    kommende Schwenkung und erklärte sich bereit, Philologie zu studieren unter
    der Bedingung, daß er dann in eine Burschenschaft eintreten dürfe. Und ob-
    wohl jetzt die Mutter in den Kampf eingriff und sich mächtig dagegen stemmte, drang er dennoch durch. Die Eltern aber machten bekümmerte Gesichter. Das
    Geschäft rentierte sich neuerdings schlechter als je, seit an jeder Ecke irgendein neues Lädchen aufgegangen war, und der Sohn hatte schon als Schüler so
    stattlich verbraucht, daß die Eltern sich ziemlich hatten einschränken müssen und mit Sorgen in die kommenden Zeiten blickten.
    Das erste Semester mit Kollegiengeldern, Büchern, Burschenschaft, Reit-
    kurs und Hauboden wurde denn auch sträflich teuer. Aber stolz und froh
    waren die Alten doch, auch die strenge Mutter, als der Student in die ersten Ferien kam, schön und stark, heiter und ritterlich, mit Schnurrbart und Reit-stiefeln. Alle Mädchen der Stadt wurden unruhig, und die Bürgergesellschaft, zu deren Kegelabend der Vater ihn mitbrachte, empfing ihn mit Achtung und
    gratulierte dem Alten zu seinem stattlichen Burschen. Einige schwere Seuf-
    zer konnten ihm freilich doch nicht erspart

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