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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Sehnsüchte und keine Erfüllung. Vielleicht ist das bei den Deutschen anders, ich weiß nicht. Aber dann müssen die Deutschen sehr glücklich sein «
    Die Prinzessin hat sich vom Kamin abgewendet. Ihre Augen rufen in das Dunkel hinein.
    Und der deutsche Maler fühlt: jetzt geht wieder so ein Gespräch los, das zu nichts führt. Es ist eine gräßliche Art, dieses Geistreichsein. Und dabei sind alle die Dinge so klar, so lange man nicht in ihnen herumrührt.
    Und er schweigt, um die Sache nicht weiter auszudehnen.
    Wenn nur der Herr aus Wien nicht gefragt hätte: »Wie meinen Sie das?« Dann wäre es ja wohl zu Ende gewesen. Aber natürlich fragt er: »Wie meinen Sie das?«
    Nicht gleich antwortet Kasimir, und die Prinzessin Helena Pawlowna hat Zeit, ihre Hände zu falten.
    Dann kommen wieder lauter weiche Worte aus dem Dunkel. Dann und wann vernimmt man einen Schritt, als ob der Pole irgend ein besonders ängstliches Wort ein Stück begleiten wollte in den Saal hinein. So ungefähr: »Wir haben ja früher davon gesprochen, bitte. Kunst ist Kindheit nämlich. Kunst heißt, nicht wissen, daß die Welt schon ist, und eine machen. Nicht zerstören, was man vorfindet, sondern einfach nichts Fertiges finden. Lauter Möglichkeiten. Lauter Wünsche. Und plötzlich Erfüllung sein, Sommer sein, Sonne haben. Ohne daß man darüber spricht, unwillkürlich. Niemals vollenden. Niemals den siebenten Tag haben. Niemals sehen, daß alles gut ist. Unzufriedenheit ist Jugend. Gott war zu alt am Anfang, glaub ich. Sonst hätt er nicht aufgehört am Abend des sechsten Tages. Und nicht am tausendsten Tag. Heute noch nicht. Das ist aller Grund, den ich gegen ihn habe. Daß er sich ausgeben konnte. Daß er fand, daß sein Buch zu Ende sei mit dem Menschen, und nun die Feder fortgelegt hat und wartet, wie viel Auflagen es haben wird. Daß er kein Künstler war, das ist so traurig. Daß er doch kein Künstler war. Darüber möchte man weinen und den Mut verlieren zu Allem «
    Da fällt die silberne Uhr ein, hell, zögernd, mit einem kleinen Zittern in der Stimme.
    Man läßt sie ausreden, und hinter ihr beginnt der Pole, ganz unwillkürlich leiser und heimlicher.
    »Ein Lied, denken Sie, ein Bild, welches Sie erkennen, ein Gedicht, das Sie lieb haben, das alles hat seinen Wert und seine Bedeutung. Ich meine für den, der es zum ersten Mal macht, und für den, der es zum zweiten Mal macht: für den Künstler und für den wahrhaft Schauenden. Denn es ist so: der Bildhauer zum Beispiel macht seine Statue für sich, allein für sich; aber (und das ist das Mehr seiner Arbeit) er schafft außerdem Raum für sie in der Welt neben den anderen Dingen; und nur, wer imstande ist, das Bild innerhalb dieses Raumes aus eigener Kraft zu wiederholen, der hat es in Wahrheit und im Geiste «
    Die Kaminglut beginnt dunkler zu werden. Hinter den goldenen Gittern geschieht ein Stürzen und Zerstieben der breiten Pinienscheite. Es ist eine Verwirrung, als brächen phantastische Paläste zusammen.
    Und mit dem Dunkel kommt der Pole näher und bringt seine immer leiseren Worte mit. Wie Kinder, die Wünsche aufsagen sollen, sind sie: beschämt und schön.
    »Diese Dinge also, Lied und Gedicht und Bild, sind anders als die anderen Dinge. Sehen Sie das gütig ein, bitte. Sie sind nicht. Sie werden jedesmal wieder. Darum geben sie die Freude, die unendliche. Diese Macht. Dieses Bewußtsein von unerschöpflichen Schätzen, das sonst von nirgends kommt. Darum heben sie hinauf. Ja, das tun sie. Sie heben uns hoch bis zu Gott.«
    Der Graf von Saint-Quentin macht eine Bewegung, als ob er Platz schaffen wollte für ein Wort.
    Auch der Herr aus Wien ist nah am Reden. Er liest angestrengt in seinen Händen.
    Aber Kasimir hat das alles nicht bemerkt. Auch nicht, daß der deutsche Maler sich damit beschäftigt, seine Finger auf einen kleinen Elefanten aus Ebenholz zu setzen und reiten zu lehren. Elender Zeitvertreib. Wie auf dem Land bei Regenwetter, so ungefähr.
    Währenddem hat Kasimir längst begonnen; man sieht jetzt, wie seine dunklen Augen erwachen:
    »Helena Pawlowna, und jetzt sagen Sie selbst, bitte, ist das nicht hoffnungslos? Immer nur bis zu Gott. Nie durch ihn durch. Nie über ihn hinaus. Als ob er ein Felsen wäre. Und er ist doch ein Garten, wenn man so sagen darf, oder ein Meer oder ein Wald ein sehr großer «
    Und da horchen alle in den Wald hinein. Die Prinzessin neigt sich weit, weit vor, dem Polen entgegen. Als ob sie allein alle seine Worte wollte, alle

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