Die Erziehung - Roman
brüsken Bewegung. Er ging hinaus und ließ d’Annovres allein im Raum zurück.
Als der Monat seinem Ende zuging, war es Gaspard zufrieden, dass er eine Art Glaubwürdigkeit erreicht hatte. Er vertauschte das Apartment mit den Zimmern und Baldachinen im Hause Raynauds. Morgens wurde er von Mathieu angekleidet, einem Garçon des Barons. Er bewegte sich in der Kutsche fort, mit zugezogenen Vorhängen, um nicht erkannt zu werden, schlich sich heimlich aus dem Haus, begann die Intrigenspiele perfekt zu spielen, bis er es leid wurde. Diese materiellen Annehmlichkeiten mussten gesichert werden. Sie durften ihm nicht mehr genommen werden, und er konnte sich nicht damit zufriedengeben, den Reichtum in seinem Umfeld zur Kenntnis zu nehmen: Er musste ihm gehören. Die Personen, an die er sich herangemacht hatte, schienen die Figuren eines komplexen Spiels zu sein, die er geschickt einzusetzen wusste, ohne dass er sich jedoch auf eine Strategie festlegen konnte. Sollte er den Comte verlassen, an den er noch durch die Rue des Petits-Champs gebunden war? Seit er Raynaud kennengelernt hatte, war er ständig von Persönlichkeiten von Rang und Namen umgeben. Seine Verachtung für die d’Annovres wuchs. Der Pariser Adel empfing ihn mit offenen Armen.
Doch nach wie vor ging er durch eine verborgene Tür zum Boudoir ein und aus, damit niemand ihrem Verhältnis auf die Schliche kam. Er verließ das Haus in tiefer Nacht, vor Blicken geschützt durch das Gehölz im Park. Er war nicht mehr als ein nächtlicher Herumstreicher, der sich, von Finsternis umhüllt, zu einer Droschke schlich. Wenn der Wagen im Laufschritt dahinfuhr und sich der Stadt näherte, zog es Gaspard vor, die Häuserfassaden nicht mehr vorüberziehen zu sehen. Während die Pferde dahintrotteten, schloss er in der Einsamkeit seiner Kabine die Augen, und Bitterkeit holte ihn ein. Er fürchtete diese Augenblicke des Alleinseins, in denen er sich selbst fremd wurde: Alles, wozu sein Körper geworden war, entglitt ihm. Ist das mein Körper oder meine Seele? Wer war dieser Mann, der in die Wohnung eines anderen ging, ein usurpiertes Leben, eine Lüge? Existierte er wirklich, er, der Heuchler, oder hatte er mittlerweile seine Seele in einen Abgrund gestürzt? Als der Wagen die Seine entlangfuhr, ließ er anhalten. Die Luft war dünn, seine Kehle voller Nadeln, die Fäuste drückten die kurzen Nägel in das Weiß seiner Handflächen. Er öffnete den Schlag, näherte sich dem Fluss, bis das träge Wasser zu erahnen war. Er betrachtete es vom Ufer aus. Seine Gedanken waren genauso kalt und verschlungen wie die Fluten, die Teilchen vom Mond auffingen, sein Abbild zerstückelten. Wäre es möglich, über dem Fluss zu schweben, dachte Gaspard, dann hätte er in diesen Splittern den Widerschein seines wahren Gesichts gesehen.
Anfang August bedrängte eine alte Bekanntschaft, die fromme Présidente de Cerfeuil, die in der Nähe von Chartres ein Landhaus besaß, den Baron Raynaud, nicht allein in Paris zu bleiben, und bot an, eine Kutsche für ihn bereitzustellen. Gaspard hatte das Angebot der d’Annovres, die zu Beginn des Monats auf ihre Ländereien ins Berry gefahren waren, ausgeschlagen. Nun sah er eine Gelegenheit, in weitere Kreise vorzustoßen. Er sprach sich so leidenschaftlich beim Baron für die Reise aus, dass der alte Mann, dessen Zuneigung stetig wuchs, nachgab und ein Schreiben losschickte, das ihre gemeinsame Ankunft ankündigte mit der Begründung, nicht ohne Unterstützung reisen zu können. Die Antwort kam prompt, sie würden mit Freude erwartet. Gaspard frohlockte. Die Stadt zu verlassen bedeutete seine Rettung, er war sich sicher. Er musste sich von Paris entfernen, seiner Gefräßigkeit entkommen. Ohne dass er sich dieses Gefühl erklären konnte, war er geradezu euphorisch beim Gedanken an diese Reise, überzeugt, dass dieser Aufenthalt eine Botschaft bereithielt, die Antwort auf sein Warten, das Ende oder die Rechtfertigung seines Schiffbruchs. Nun war es unwichtig, dass er verloren war, er wollte, dass sein Verlorensein einen Sinn erhielt, den Preis für einen explosiven, ruchlosen Aufstieg. »Mein Drama besteht darin, dass ich keine vollständige Vision von meinem Leben habe, die mir erlauben würde, es zu verstehen«, hatte er eines Abends zum Baron gesagt, der noch sein Glied in der Hand hielt. Der alte Mann hatte mit spöttischem Ernst gelacht.
Am frühen Morgen stand eine Kutsche parat. Der Baron fürchtete so sehr um seine Lungen, dass er sich in
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