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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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während sein Blick den von Gaspard traf. Er beugte sich vor, fasste sie an der fleischigen Rundung ihrer Schulter und sagte väterlich: »Aber meine Liebe, ich habe gar nichts gefragt.«
    Ja , dachte Gaspard, dieser Mann hat den Blick kein einziges Mal von mir gewandt. Seit er auf die Terrasse hinausgetreten und mit Adeline die Treppe hinuntergegangen ist. Jetzt beobachtete er ihn diskret, ohne sein Gespräch zu unterbrechen. Gaspard senkte die Lider, deutete ein Lächeln an. »Ist es nicht angenehm, ein wenig die Nacht zu genießen?«, fragte Adeline. »Noch angenehmer ist mir Ihre Gesellschaft«, antwortete er, während er darauf achtete, dass ihre Hände sich streiften. Er fühlte, dass sie zitterte und sich dann gerührt zurückzog. Emmas Tod hatte ihm seine eigene Zurückhaltung genommen, und er erlaubte sich, die Zweideutigkeit ihrer Beziehung zu forcieren. Er fand Adeline im Grunde genauso dumm wie ihre Mutter, aber von einer natürlichen Freundlichkeit, außerdem konnte er an ihr auf einfache Weise seine Verführungskünste testen, den Einfluss einschätzen, den er auf die d’Annovres’ hatte. Er wusste noch immer nicht, wie sie seinen Plänen nützlich sein sollte, aber er konnte sie nach Belieben ausfragen, ohne ihren Argwohn zu wecken. Hatte sie sich damit abgefunden, seine Herkunft und seine Absichten nie zu erfahren? Hatte sie ihre Zweifel vergessen? Sie verhielt sich ihm gegenüber so offen, dass Gaspard ihren anfänglichen Scharfblick vergaß. »Wer ist dieser Mann?«, fragte er. Adeline kniff die Augen zusammen, um das Gesicht, auf das er zeigte, besser sehen zu können. »Der Baron Raynaud«, antwortete sie. »Ist er reich?«, wollte Gaspard wissen. Ihre Spontaneität, frei von jedem Misstrauen, gefiel Gaspard: »Mit Sicherheit. Junggeselle, reich, und man sagt, von fragiler Gesundheit. Genau, was es braucht, um von Frauen umzingelt zu werden.« Sie schwiegen einen Augenblick, ehe die Comtesse d’Annovres aus einem der Salons nach ihrer Tochter rief, damit sie ein Stück auf dem Cembalo spielte. Das Mädchen lächelte mit abwesendem Blick. Sie stellte ihr Glas ab und ging auf die Treppe zu.
    Gaspard schweifte ziellos durch den Garten. Da und dort bildeten sich Grüppchen, die sich unterhielten. Gaspard versicherte sich, dass ihn der Baron nicht aus den Augen ließ, und schlenderte ein wenig umher. Er betrachtete die Vielfalt der Stoffe, die Schleifen und Bänder an den Gewändern der Frauen. Es lag eine Euphorie in dieser Dunkelheit, man sah die Gesichter in einem neuen Licht, die Flammen gaben ihnen trotz des Puders eine lebendige Farbe. Es ist eigenartig , sagte sich Gaspard, dass ich hier bin, unter ihnen . Die Gruppen, die sich unter den Klängen eines von Adeline gespielten Satzes von Couperin da und dort spontan bildeten, wirkten auf ihn vertraut und feindselig zugleich. Man drückte ihm die Hand, hin und wieder verbeugte er sich, tauschte Höflichkeiten. Im Grunde hinderte ihn nichts daran, an den Gesprächen teilzunehmen, trotzdem blieb er allein, schlenderte abseits der anderen über das dunkle Gras. Die Äste marmorierten Stirne und Wangen. Der Alkohol verwandelte die Gesichter. Männer und Frauen bewegten sich ungezwungen durch die Dunkelheit, hasteten begierig von einem Kreis zum nächsten, fürchteten keine Berührung mehr. »Sie kennen mich noch immer nicht«, flüsterte Gaspard. War er für diese Leute nicht vorhanden? In seinem Bauch begann sich wieder der Zorn zu regen. Hatte er noch immer nicht genug Opfer gebracht, um als einer der ihren betrachtet zu werden? Er hatte seine Integrität aufgegeben, sich in eine andere Person verwandelt, die ihm selbst fremd blieb. Du selbst bist es, der sich noch immer als illegitim betrachtet , überlegte er. Er hatte sich vorgenommen, sich für Etienne zu rächen, und wünschte sich von der Welt Wiedergutmachung. Von sich selbst enteignet wollte Gaspard sich von denen befreien, die an seiner Verwandlung mitgewirkt hatten. Das ganze Jahrhundert müsste bestraft werden, damit die Rache angemessen wäre. Die Epoche, die Stadt und der Fluss. Die Gäste gingen auf das Haus zu. Er musste sie alle ausnutzen, da jeder von ihnen auf seine Weise sein Fleisch geformt, den Mann behauen hatten, der zu werden er im Begriff war.
    Ein Läuten kündigte die Mahlzeit an, und durch die Nacht tönten ein paar zustimmende Rufe. Gaspard hielt sich abseits, während die Gäste die Salons aufsuchten, angeregt von der Vorstellung, Speisen zu entdecken, die genauso

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