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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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erlesen zu sein versprachen wie der Auftakt im Garten. Er warf dem Baron Raynaud einen versichernden Blick zu, dieser entschuldigte sich bei der unermüdlichen Mademoiselle Langlade und stieß endlich zu ihm. Gaspard holte tief Luft und lächelte.

II

DIE SCHERBE
UND DAS FLEISCH
    Als die Abende wieder den betäubenden Sommer ankündigten, zog Gaspard das Gehen den Droschkenfahrten vor. Er nahm die Route de Versailles, von der er einst geschworen hatte, sie eines Tages als gemachter Pariser zu betreten, und ging bei einbrechender Dämmerung den Fluss entlang. Die Wellen glitzerten in den Farben eines impressionistischen Himmels. Gaspard blieb auf der Hut, er vergaß nicht, welche Hinterlist die Stadt aufgewendet hatte, um ihn zu unterwerfen, aber er fühlte sich Paris nicht mehr fremd. Vielleicht , überlegte er, habe ich mich endlich von ihr ausfüllen lassen? Was war geblieben von dem Jungen aus der Rue Saint-Denis, von dem ihn nun ein Jahr trennte? Ein paar unbedeutende Überreste. Heute entsprach er ganz dem Bild der Hauptstadt. Oder fast, dachte Gaspard, denn es war ihm bewusst, dass er noch nicht am Ziel war. An jenen Abenden ging er an dem Grüppchen Windmühlen entlang, deren Flügel über einem zarten Grün durch die Dämmerung schnitten. Er konnte den Blick nicht von diesen fliegenden Dickhäutern wenden, die unermüdlich ihre hölzernen Deckflügel aus den schlingernden Eingeweiden hinausschossen. Er passierte den Zoll, und hinter den Schranken schwebten die Laternen über dem Boden, warfen ihr Orange auf ihn ab. Durch die Gärten fegte ein nächtliches Rauschen, und in den Häusern erhellten sich die Fenster, hinter denen sich die Silhouetten drängten. Von den in tiefe Dunkelheit getauchten Vortreppen riefen die Ammen nach den Kindern, während sie sich einen Schal um die Schultern zurrten. Eines von diesen Gebäuden, in denen endlos ein Raum auf den anderen zu folgen schien, bewohnte der Baron Raynaud. Nichts am Anblick dieser im Überfluss vor sich hin dösenden Fassaden erinnerte an die Stadt, der Gaspard den Rücken zuwandte. Er stellte sich vor, der Besitzer eines dieser Häuser zu sein, seinen Leuten Befehle zu erteilen, überlegte, welche Bekanntschaften er an seiner Tafel zu haben wünschte. Während er auf Raynauds Haus zuging, wusste er bereits, dass seine spätere Rückkehr in die Wohnung in der Rue des Petits-Champs eine Qual sein würde, führte sie ihm doch seine unwürdige Lage als Strichjunge vor Augen, die Rolle, auf die ihn der Baron Raynaud festlegte. Dadurch wurde er ihm noch verhasster, und so verführte er ihn eher aus Rachegefühl und Verzweiflung denn aus Ambition.
    Während der Juli seine Hitze über die Stadt ausbreitete, begann ihn dieses Verhältnis aufzuzehren. Der Ekel, der ihn erfasste bei der Vorstellung, sich Raynaud hinzugeben, unterschied sich in nichts von dem Unbehagen, das ihm die Brust zuschnürte, wenn er im Apartment den Grafen erwartete. Er wusste, dass jede Berührung einen Abdruck in seinem Fleisch hinterließ. Alle diese Hände hatten ihn modelliert. War er denn nicht mehr als ein vulgärer Klumpen Ton? Entschied er überhaupt selbst über seine Verwandlung? Er wollte Herr sein über seine Entwicklung, doch was er dem eigenen Antrieb zu verdanken meinte, war im Grunde nur dem Zufall geschuldet. Gaspard konnte sich nicht damit abfinden, zur Schöpfung der Männer zu werden, deren Weg er gekreuzt, deren Körper er umarmt hatte, als wäre er aus Teilen eines jeden von ihnen zusammengesetzt. Darum stellte sich trotz Raynauds Vertrauen und der Freiheit, die er in ihrer Beziehung ermöglichte – er wusste um die Ambition des Jungen und war es zufrieden, ein Rädchen in diesem Getriebe zu sein –, keinerlei Nähe zwischen ihnen ein. Genauso wie er den Comte zum Narren gehalten hatte, versteckte er seine Bitterkeit und seine Abneigung hinter einer gespielten Zuneigung. Wenn er weiterhin wie zuvor die d’Annovres aufsuchte, hielt ihm die Comtesse seine Untreue vor. Ihr Gemahl versank in einem gekränkten Schweigen. »Hast du denn überhaupt kein Herz?«, flüsterte er ihm ins Ohr, als sie den Salon verließen, um zum Diner zu gehen. Gaspard ging ohne einen Blick an ihm vorbei, und der Comte hielt ihn am Arm zurück. Diese Berührung, an die er sich gewöhnt zu haben glaubte, war wie ein Schlag in seinen Magen. Gaspard blieb stehen, auf seinem Gesicht formte sich der Ausdruck von Rache: »Ich verstehe nichts von Rätseln«, antwortete er und löste den Arm mit einer

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