Die Erziehung - Roman
Schattengoliathe über die Stockwerke glitten, und hörte zerstreut den Worten Mademoiselle Langlades zu. Diese schwenkte angelegentlich ihren Fächer und wirbelte ein Gemisch von Schweiß, Puder und Patschuli von ihrem Hals auf. Fledermäuse schossen durch die Luft. Die Tische waren nach draußen getragen worden, und die Bediensteten kamen und gingen, stellten Liköre und Blätterteiggebäck ab, dessen Krümel sich bereits in den Miedern, auf den feuchten Häuten, in den Spitzen der Schnurrbärte fanden.
In dem Moment, als seine Augen über die Fassade wanderten, dachte der Baron an jene Langeweile, die auch Gaspard kennengelernt hatte, an diese Verzweiflung, nichts zu tun zu haben, seiner Existenz nichts als Belanglosigkeiten anbieten zu können. Das war einer der Gründe für seine ältliche Erscheinung, für den Verfall seines Körpers. Im Adel und in der Bourgeoisie alterte man aus Langweile. Sein einstiger Schwung hatte ihn verlassen, seine Kraft sich verflüchtigt, zu langsam, um es zu bemerken, doch unaufhaltsam. Seine Haut war einmal straff und dick gewesen. Nun war sie wie Pergament, dünnes, abstoßendes Sandpapier, das nur mit Mühe bedeckte, was sich darunter befand. Auf dem Bauch und an den Beinen traten die ausgeleierten Adern und Venen hervor, seine Körperformen waren eckig geworden. Mitten in der Nacht, wenn ihn ein Traum schwitzend in seinen Laken zurückließ, wurde er von seinem eigenen Geruch geweckt: von einem süßlichen, abscheulichen Geruch. Seine Lungen schmerzten, ihm war, als würden sie sich bei der geringsten Anstrengung zusammenziehen, um einen Saft herauszupressen. Dass er noch immer umringt wurde, verdankte er nicht mehr der Attraktivität, um die man ihn vor langer Zeit beneidet hatte. Aber auch wenn er müde war, besaß er nicht dennoch seine Lust, einen letzten Rest seiner Ambition und seiner Eroberungsgier? Seine Seele setzte dem scheintoten Fleisch Widerstand entgegen. Er lächelte, konnte sich nicht als Mann am Ende seines Lebens sehen, von dem er sich nicht erinnern konnte, es gelebt zu haben. Mademoiselle Langlade glaubte, das Lächeln gelte der Anekdote, die sie zur allgemeinen Gleichgültigkeit zum Besten gegeben hatte. Sie errötete und legte nach.
In einem der Salons wollte ein Musiker sein Talent unter Beweis stellen, jemand rief aus einem Fenster, und die Menge stieg die Stufen hoch. Andere, abgestumpfter oder weniger musikbegeistert, blieben unter dem dichten Blätterdach, das den Nachthimmel verdeckte. Die Sträucher verbreiteten ihre Pollen in der Luft, und die Bronchien des Baron Raynaud verengten sich. Sein Atem pfiff. Zwei Damen im Reifrock, die nicht nebeneinander die Treppe hochkamen, tauschten Höflichkeiten aus. Muss man gewöhnlich sein, um die Frauen zu lieben? , fragte sich der Baron und tupfte sich die Stirn mit einem Taschentuch. Am Boden tummelten sich Knirpse, Miniaturmodelle der Marquisen mit ihren Kreidegesichtern, die Taillen durch Korsetthüllen geformt, und der Herzöge in Fracks und beigen Kniehosen. Ihre Perücken und Lackschuhe huschten durch das Dunkel, glänzten unerwartet auf, um wieder in einem Gebüsch zu verschwinden. Eine Gouvernante wies sie zurecht. Sie gehorchten, bereits alt und glanzlos geworden, ganz die Frucht jener gnadenlosen Formgebung, die sich durch die Liebe vonseiten ihrer Familien rechtfertigte.
Der Baron wandte den Blick von den satingepanzerten Karikaturen ab. Der junge Mann, der ihm kurz zuvor aufgefallen war, trat auf die Terrasse, die Tochter des Comte d’Annovres am Arm. Er hatte sie als Kind gekannt und sann darüber nach, wie heimtückisch doch die Zeit sein musste, dass sie schon eine Frau war. Die beiden gingen die Stufen hinunter. Der Stolz des Jungen, das Kinn gereckt, die Hand auf dem Knauf seines Stockes, gefiel ihm. Das Jabot und die Ärmel bauschten sich unter der Brokatjacke. Der Junge trug keinen Degen, aber in seiner Haltung lag eine Würde, die ihm den Ausruf »Ein sehr hübsches Pärchen« entlockte. Seine Entourage wandte den Blick, und Madame Saurel flüsterte ihm ins Ohr: »Er wurde mir als Freund des Comte de V. vorgestellt. Seither habe ich sie nicht mehr zusammen gesehen, doch der Junge ist ein Stammgast der d’Annovres geworden. Ich weiß nicht, wem er näher steht, dem Vater oder der Tochter. Und jetzt fragen Sie mich bitte nichts weiter!« Jemand prustete heraus, eine andere Stimme entrüstete sich ein wenig, genau so viel, wie angebracht war. Der Baron wandte sich Madame Saurel zu,
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