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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Mit einem Aufschrei versuchte sie ihre Hand zurückzuziehen. »Streichle mich, ist es nicht das, was du willst?«, wimmerte Gaspard, bevor er sie losließ. Sie fiel zu Boden, schleppte sich weiter, um den Bauch nicht mehr sehen zu müssen. »Ich widere dich an, nicht wahr? Bin ich dir jetzt zuwider?« Seine Stimme zitterte vor Schmerz, und Adeline vernahm ein eigenartiges Geräusch, ein Schluchzen, das das Knistern der Laken überdeckte. »Mein Gott«, keuchte sie, »was haben sie dir angetan?«
    »Ein herrlicher Tag«, sagte Adeline. Alle pflichteten ihr bei. Eine strahlende Sonne schien auf diesen ersten Herbsttag herab. Sie gingen durch den Tuileriengarten, Gaspard und Etienne voraus, Adeline und Odette de Vigny hinter ihnen, unter dem dämpfenden Schutz ihrer Schirme. Das schöne Wetter trieb eine herausgeputzte Menschenmenge aus den Häusern. Sie grüßten einander mit einem Kopfnicken, blieben stehen, um im Schatten eines Baumes, unter dem freundlichen Plätschern eines Brunnens zu plaudern. Sie schauten dem Treiben der Stadt zu, kamen an ein paar kichernden Damen, einem galanten Pfarrer, einem gerade im Kurs stehenden Schriftsteller vorbei. Wohlgenährte Kinder tauchten zwischen den Beinen der Erwachsenen auf, ihr Lachen perlte durch die Wärme des Parks, und sie schubsten sich gegenseitig im Gefecht des Spiels. Von den hohen Ästen fielen die Blätter und zogen rote und gelbe Spuren durch den Himmel, ließen sich von der Brise tragen und auf einen feurigen Teppich fallen, von den Füßen der Kinder wieder aufgewirbelt. Ein schwacher Wind strich zärtlich über die Gesichter, vermochte kaum ihre Schleier zu heben. Die Sonne lud zum Spazieren und zum Nachdenken ein, die Vollkommenheit des Tages gab jedem das Gefühl, unendlich lebendig zu sein. Gaspard zwang die Gruppe, langsam zu gehen. Er bewegte sich behutsam, mit gebeugtem Körper. Jeder seiner Schritte entriss ihm einen gequälten Seufzer. Adeline schlug vor, sich zu setzen, damit er wieder zu Atem kam. Gaspard lehnte ab, wollte noch ein wenig gehen. Etienne sah Adelines Nervosität; ihre Hände falteten sich und lösten sich immerfort, rieben den Stoff ihres Kleides. Vogelschwärme erfüllten die Bäume mit Leben, ihr Gezwitscher mischte sich unter die heiteren Gespräche, das Lachen der Kinder. Ein paar Maler skizzierten geschäftig diesen Aufmarsch der honnêtes gens . »Wie herrlich!«, begeisterte sich Odette de Vigny. Eine Spiegelung brachte den Schleier vor ihrem Gesicht zum Leuchten, als wäre er mit Steinen in schillernden Farben durchsetzt. »Wussten Sie«, sagte Etienne, »dass der Bau des Palasts von Katharina von Medici angeregt wurde und dass sich hier zuvor Ziegelfabriken befanden?« – »Tatsächlich?«, fragte Adeline. Etienne nickte: »Hier lag ein so dichter roter Staub in der Luft, dass er sogar die Sonne färbte. Katharina von Medici hat ihr Werk allerdings nie bewohnt. Ein Astrologe hatte ihr vorhergesagt, dass sie in der Nähe von Saint-Germain de l’Auxerrois sterben werde.« Gaspard betrachtete den Pavillon de Marsan, die Galerie des Machines, musterte verträumt den Nordflügel des Pavillons de l’Horloge, die Fassade des Palastes, den Pavillon mit seinem majestätischen Dom. Diese Schönheit ließ ihn ungerührt. »Gehen wir Richtung Fluss«, sagte er, als sie den Park nahe bei der Butte Saint-Roch verließen. Er hatte keine Lust, das Viertel wiederzusehen. Der Schmerz in seinem Bauch verzerrte die Wahrnehmung seiner Hände und Füße, das Fieber stumpfte seinen Gleichgewichtssinn ab. Sie kamen zur Place du Carrousel. Die Damen gerieten wie gewöhnlich in Entzücken angesichts der Gebäude, der Pracht des Palastes. Adeline und Gaspard zogen die Blicke, beflissene Respektsbezeugungen oder auch Verachtung auf sich. Etienne lächelte, hielt sich an ihrer Seite, und Gaspard konnte seinen Geruch spüren. Er weckte nicht mehr sein Verlangen, aber eine beruhigende Verwirrung, das besänftigende Gefühl seiner Zugehörigkeit zum Comte.
    Sie gingen auf den Louvre zu. Gaspard richtete sich auf, bemüht, selbstsicher zu wirken. Wo er vorbeiging, sprach man von seiner Hochzeit, von Etiennes Einfluss, von der beunruhigenden Gesundheit der d’Annovres. Gaspard wusste Verleumdungen und Wahrheiten gleichermaßen zu schätzen, sie waren der Preis seines Aufstiegs. Er verachtete die Neider, verachtete ganz Paris und machte keinen Hehl daraus, sein Vermögen rechtfertigte sämtliche Exzesse. »Der Hof gibt am letzten Donnerstag des Monats einen

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