Die Erziehung - Roman
der Luft und jener des Steins. Beide schienen aus demselben Stoff gemacht. Der schmelzende Schnee drang in seine Schuhe, die Füße wurden gefühllos. Gaspard kniff die Augen zusammen, um die Gesichter zu sehen, die durch die Straßen huschten, doch sie waren alle glatt, einander ähnlich, hätten genauso gut seins oder Etiennes sein können. Er tastete sich vorwärts, bahnte sich einen Weg durch die fahle Menge, irrte durch die verschlungenen Gassen. Auf dem Boden breitete sich fleckenweise der zerstoßene Reif aus. Die Wintersonne durchdrang nur mühsam die dicke Kreide der Wolken, warf sich in diese strahlenden Wunden. Gaspard wurde von einer alterslosen Frau gestoßen. Für den Bruchteil einer Sekunde brachte diese Berührung die Geschäftigkeit der Stadt zum Stehen. Der gegen seinen eigenen geworfene Körper löste eine Welle aus, die ihn durchlief wie ein Schauer. Er hatte Lust, sie einzuholen, diese Frau, die bereits weit weg war, schon nicht mehr an den Jungen dachte, mit dem sie mitten auf der Straße zusammengeprallt war, gegen den sie rücksichtslos, schamlos die Schulter gedrückt hatte, er hatte Lust, sich an ihren Bauch zu schmiegen, den er sich unter ihrem Kleid erschlafft vorstellte, die gewöhnlichen Lippen zu küssen, sein Gesicht an ihren Hals zu pressen, in dem der Dreck tief in jede Hautfalte eingedrungen war, wo aber das Fleisch bebte. Doch sie verschwand, und er, unfähig, sie unter so vielen anderen Frauen zu erkennen, drehte sich um. Er ging stundenlang umher, doch die Stadt gefiel sich darin, ihn in die Irre zu leiten, schlug ihm immer wieder eine neue, der vorherigen ähnliche Straße vor, wimmelnd von Parisern, und die einzige Begegnung war ein Schlag in den Leib in einem Moment der Unachtsamkeit, in einer flüchtigen Intimität, die bereits zu unverhohlen war, um keine Beleidigung zu sein. Das Wasser der Seine trocknete, spannte seine Epidermis und drückte ihr seinen Geruch auf. Gaspard befand sich in einem dauernden Zustand der Unterkühlung, dachte gar nicht mehr daran, dem hartnäckigen Wind die Schuld zu geben, der ihm ins Gesicht peitschte und den Ausfluss seiner Augen kristallisierte. Die Stadt, dachte er entsetzt, legte in der Winterkälte noch an Niedertracht zu. Er erinnerte sich an einen Sommerabend, als er in Gesellschaft von Lucas durch die Straßen ging – Lucas, dessen Bild aus einem anderen Leben auftauchte, ein Detail von erschütternder Wahrheit – und überzeugt war, dass Paris nach ihm schnappte, ihn verschlang und er sich nicht mehr aus seinem labyrinthischen Magen befreien konnte. Noch hinter dem Schein der kraftlosen Lähmung blieb Paris gefräßig, und Gaspard meinte in der Krümmung der Fassaden eine versteckte Bewegung wahrzunehmen, das Zusammenziehen eines Muskels unter der Haut. Er erzitterte, zog eine Grimasse, ohrfeigte sich, um den Schwindel zu vertreiben, der von seinem Unterleib ausging. Als er das Atelier erreichte, hatte der Geruch des Kellers die Schärfe von kalter Glut, die aber kaum den widerlichen Gestank seines Körpers überdeckte. Er kämpfte gegen die Zuckungen seiner Arme, um ein Streichholz anzuzünden und ein schwaches Feuer zu entfachen. Er setzte sich auf die Matratze, starrte auf die zögerlichen Flammen. Bald drang nur noch ein zyanotischer Glanz durch seine Lider.
Quimper, blasslila: Vater und Sohn sind auf dem Acker. Die Stute zieht den Pflug. Von ihrem Hals läuft der Schweiß in Bächen herunter, verklebt die Mähne, erfüllt die Luft mit animalischen Dünsten. Gaspard mag es, eine Hand auf das Tier zu legen, auf den Hals oder die Flanke, das feuchte, warme Fell zu riechen, den Verlauf der dicken Adern zu spüren. Er hält sich an der Mähne fest. Manchmal führt er eine Hand an die Nase, um den Tiergeruch in sich aufzunehmen, findet ihn beruhigend, genauso wie das Rollen der Muskeln unter der Haut. Die Erde des Ackers ist aufgeworfen. Der Boden unter seinen Füßen öffnet sich, richtet sich auf, ist voller Unebenheiten, sein schwarzes Fleisch riecht nach der Tiefe der Erde, den Wurzeln des Grases. Er mag diesen Geruch, aber konzentriert seine Aufmerksamkeit auf seine Schritte, denn nicht weit von ihm geht der Vater, sein versteinertes Gesicht auf den Ackerrand geheftet. Er schweigt. Sein Atem vermischt sich mit dem der Stute. Gaspards Füße versinken in den Löchern wie Finger in einer Wunde. Mit klopfendem Herzen lässt er sich vom Tier ziehen, dessen Kraft ihn dem Griff der Erde entreißt. Die Scharen haben den Boden
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