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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ausgeliefert, eines starken jungen Mannes mit geschmeidiger Haut. Er aber schien nichts zu merken, umschlang sie mit seinen festen Armen, zog sie an sich. Sie fühlte seinen muskulösen Bauch an ihrem, wie er zitterte. Sie schloss die Augen, überließ sich dieser Umarmung, denn nie wieder ist sie berührt worden. Nicht einmal aus Zufall, nicht einmal aus Versehen. Nie wieder hat sie jemand in die Arme genommen, und genau das war der Augenblick, der ihren Bauch in Fetzen riss, der Augenblick, in dem sie begriff, dass sie sich immer nach einer neuen Umarmung gesehnt hatte, von wem auch immer, nur unerwartet musste sie sein und ganz ohne Grund. Jetzt ist sie aufgewacht, ihr Bewusstsein schwankt, sie durchwandert mit dem Blick das rostfarbene Zimmer, das Feuer, das nicht mehr wärmt. Mit der Verzweiflung, dass niemand sie mehr umschlungen hat, denkt sie an die Hunderttausende von Leben um sich herum. Dann schließt sie die Augen wieder, und am Morgen wird sie kalt und grau sein wie die Asche, die das Feuer in den Herd zurückfallen lässt.
    Gaspard fröstelte in der Kälte des Kellers, drückte sich eng an den Ofen. Seit Etienne vor drei Wochen gegangen war, war der Schlaf selten und quälend geworden. Er brachte nicht mehr die Kraft auf, im Atelier zu arbeiten, und verbrachte die meiste Zeit im Keller, wo Etiennes Geruch oder vielleicht nur die Erinnerung an ihn noch mehrere Tage im Bett haften blieb. Er starrte auf die verrußten Balken an der Decke, lauschte auf das Knarren der Treppe, das ihm ankündigte, wenn Billod von der Wohnung ins Atelier hinunterging. Bestimmt verwünschte Billod ihn, wohl wissend, dass Gaspard im besten Fall gegen Mittag, viel häufiger noch im Laufe des Nachmittags erscheinen würde. Er würdigte seinen Lehrling keines Blickes mehr, und wenn er auch vor den Kunden das Gesicht zu wahren suchte, so kostete ihn doch jeder Befehl große Anstrengung, wie Gaspard an seiner angewiderten Miene ablas. Manchmal dachte er, es wäre besser, keinen Fuß mehr in die Werkstatt zu setzen, lieber herumzuirren, als sich in dem stinkenden Keller einzuschließen. Konnte er sich einmal seinem Stumpfsinn und den Chimären entreißen, die seit Etiennes Weggang seinen Geist bevölkerten, trieb ihn die Melancholie, geleitet von einem schwer verständlichen Determinismus, dazu, sich anzuziehen. Ohne dass der geringste Gedanke sein leeres Bewusstsein behelligt hätte, streifte er seine Kleider über, ging die Treppe hinauf und stellte sich still und verdrossen in eine Ecke des Ateliers. Die Kundinnen zeigten sich besorgt über diese Apathie, rieten, sehr zum Missfallen Justin Billods, zu Medikamenten aus der Apotheke, zu anerkannten Fachleuten. So schwankten die Tage zwischen unruhigem Schlaf, der Dumpfheit der im hermetischen Untergeschoss verlorenen Stunden und der Wiederholung der täglichen Gesten. Der Bruch, der schmerzliche Verlust hatte den Perückenmacherlehrling vor einen Abgrund gestellt, der ihn in jedem Augenblick zu verschlingen drohte. Oft träumte er, dass er die eine Lösung, für Etiennes Verhalten eine Rechtfertigung fand. Noch nie hatte er eine bohrendere Einsamkeit gefühlt. Die Existenz zeigte ihre ganze Abscheulichkeit, sobald die Wirklichkeit überhandnahm über die Träumerei, die ihm vorgaukelte, es sei nichts geschehen, es liege noch alles vor ihm, es sei möglich, die Zeit zurückzudrehen. Doch die tägliche Konfrontation mit der Materialität des Ateliers, des Kellers, der Stadt war unerträglich. In der zitternden Feuchte der Bettlaken wünschte Gaspard nichts anderes mehr, als zu schlafen, um sein Bewusstsein auszulöschen. Die Substanz seines Lebens zerfiel zu Ungewissheit, die Wirklichkeit war nur noch stumpfe, hässliche, von den Menschen bewohnte Dimension.
    Der Keller war in eine gemaserte Dunkelheit getaucht. Etiennes Worte hallten von den Wänden wider. Durch die Decke drang die Geschäftigkeit aus dem Atelier und wurde zu einer entfernten Wirklichkeit. Auch als er die Werkstatt schließlich gar nicht mehr aufsuchte, kam Justin Billod nie in den Keller herunter. Ein einziges Mal hörte Gaspard ihn vor sich hin schimpfen, als er einen Kunden zur Tür begleitet hatte und danach so laut wie möglich die Treppe hinaufpolterte. Die gedämpften Stimmen wurden zu einer Litanei. Immer wieder drückte er seinen Kopf ins Kissen, brüllte vor Wut, um diese hartnäckige Melodie zu übertönen. Er musste an Etiennes Haut denken. Wie sie unter der Zärtlichkeit eines Fingers prickelte. An

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