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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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aufgeschlitzt, die schneidenden Ecken der Steine entblößt, die nun in der Abendsonne trocknen. Erdbrocken drohen ihm das Gleichgewicht zu nehmen. Er ist erschöpft von dem stundenlangen Gehen auf dem holprigen Boden. Die mineralischen Eingeweide machen ihm Angst, denn Gaspard weiß, dass er es bis zum Weg schaffen muss, ohne hinzufallen. Doch während er sich ermahnt, konzentriert zu bleiben, schlägt sein Holzschuh an einen Stein, und er stürzt, eine Handvoll Pferdehaare in der rechten Hand. Verblüfft dreht er sich um sich selbst. Die Stute bleibt stehen. Die Gestalt seines Vaters nähert sich. Die Schritte versinken in der Erde. Er spürt die Kühle unter seinem Nacken, wagt sich nicht zu rühren. »Kannst nicht laufen, Kleiner?«, fragt der Vater, sein zerfurchtes, wütendes Gesicht über das seine gebeugt. Als Gaspard nicht antwortet, gibt er ihm einen Fußtritt in die Seite und noch einen aufs Bein. Die Spitze des Holzschuhs stößt mit Präzision ins Fleisch. Gaspard verzieht das Gesicht, aber er schreit nicht, denn das würde die Kraft der Schläge verdoppeln. Er konzentriert sich auf den immensen, erhabenen Himmel über dem Kopf des Vaters. Ein immenser Himmel, erhaben und blasslila. Blasslila wie die Blutergüsse, die bereits auf seiner Haut entstehen.
    Das Feuer flackerte mühsam, von der Feuchtigkeit geschwächt, und Gaspard verscheuchte die Erinnerung, ignorierte das Kribbeln auf seinem Schenkel und seiner Seite. Er legte sich hin, das Atmen fiel ihm schwer, denn Etiennes Weggang schien ihm endgültig, und er sah keinen Ausweg aus seiner Lage. Ein Monat war vergangen seit dem Abend, an dem der Graf ihn mit einer unerschütterlichen Gleichgültigkeit verleugnet hatte. Sollte er sein Leben in diesem Keller beschließen? Vielleicht , dachte er, wenn ich sicher sein kann, dass der Tod schnell eintritt . Denn er fühlte nicht die Kraft, seinem Leid selbst ein Ende zu setzen, auch wenn der Gedanke an den Fluss verführerisch war. Ein Gewicht legte sich auf seinen Oberkörper, zwang ihn, sein Hemd zu öffnen, das seinen Hals einschnürte und auf den Adamsapfel drückte. Er drehte sich herum, fiel aus dem Bett, zwischen ein paar Ratten, die mit vorwurfsvollem Blick das Weite suchten. Gaspard hustete, holte Luft, meinte zu ersticken. Er stand wieder auf und ging die Treppe hoch, erreichte die Tür zur Werkstatt, öffnete sie mit einem Fußtritt. Er wusste nicht, was er hier zu finden hoffte, außer der Möglichkeit, dem Untergeschoss zu entfliehen, seine Angst und Etiennes Allgegenwart dort unten zurückzulassen, und blieb verblüfft stehen, als sein Blick auf Billod fiel, auf einen Hocker gesunken, in der einen Hand seine Perücke, mit der anderen die notdürftig gepuderte Stirn abgestützt, die leeren Augen auf den Fußboden geheftet.
    Er reagierte mit Verzögerung, kaum überrascht von dem Krachen der Tür, die an die Wand polterte. Das Gesicht des Meisters, eine Sekunde zuvor noch in die Betrachtung der Bretter vertieft, wandte sich zum Lehrling. Gaspard trat ein paar Schritte vor, ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Sämtliche Einzelheiten des Ateliers kamen ihm unwirklich vor. Den Standort der Regale erkannte er wieder, die Anreihung der Perücken, die Anordnung der Sofas, doch das Ganze wirkte weit weg, skurril. Und Justin Billod – Gaspard fiel es sofort auf, als er durch die Tür ging – passte zu dem Raum: verfallen, der Teint opalartig, tiefe Ringe um die Augen. Sie beäugten einander erstaunt, wie zwei Wesen, die sich in parallelen Wirklichkeiten aufgehalten hatten und sich nun plötzlich einander gegenüber befanden. Als Billod sicher war, dass diese abgemagerte und stinkende Kreatur vor ihm in der Tat das war, was von seinem Lehrling übrig geblieben war, stand er wütend auf:
    »Ah! Da haben wir ja«, sagte er, »den Grund, dass es mit meinem Geschäft den Bach runtergeht. Und zu allem Überfluss wagt er es, zu mir zu kriechen. Um mich herauszufordern wohl. Nicht zufrieden damit, dass er mich ruiniert, verhöhnt er mich auch noch. Ist denn Ihre Seele schwärzer als Kohle, haben Sie denn gar keinen Stolz, nicht eine Unze Eigenliebe, um sich so bis in mein Atelier zu schleppen?« Gaspard war derart verstört, dass Billods Ton ihm einen überraschten Schluchzer entriss. »Was? Sie lachen? Ist das ein Lachen, das ich da höre, Sie Tier? Sie haben meinen Ruin gesucht und sind zufrieden, mich ohne einen Kunden zu sehen?« – »Es ist nur, Monsieur, ich kann nichts dafür«, sagte Gaspard

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