»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
die Kontrolleure der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA überzeugen ließen und Unilever erlaubten, die cholesterinsenkenden Eigenschaften der »Becel«-Produkte in Beziehung zu setzen mit einem verminderten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Etwa so: »Becel hilft täglich, das Herz-Kreislauf-System zu schützen.«
Doch damit ist längst nicht alles geklärt. Für probiotische Joghurts gilt, dass sie zumindest keinen Schaden anrichten können. Dies ist bei »Becel« nicht so eindeutig. Was ist zum Beispiel mit jenen Konsumenten, die »Becel« aufs Brot streichen, obwohl sie gar keine erhöhten Cholesterinwerte haben – wie etwa Kinder, die die Margarine nur essen, weil es der gegen seinen zu hohen Cholesterinspiegel kämpfende Vater tut? Ohne Grund verzehren sie regelmäßig Lebensmittel, die ihre Blutwerte beeinflussen. Und wie wirkt es sich aus, wenn sie das über Jahrzehnte tun, einfach aus geschmacklicher Gewöhnung? Während Medikamente wie Bayers skandalträchtiger Cholesterinsenker Lipobay erst nach etwa einem Jahrzehnt Forschungsarbeit zugelassen werden können, genügen der Lebensmittelindustrie oft Beobachtungszeiträume von einigen Monaten und relativ kleine Probandengruppen, um dem Produkt Unbedenklichkeit zu bescheinigen. Ernährungswissenschaftler und Mediziner sind auch besorgt darüber, dass Verbraucher durch derlei Lebensmittel zur Selbstmedikation ermutigt werden und anstatt zum Arzt in den Supermarkt gehen. Dort hat sich Unilevers cholesterinsenkende Produktfamilie seit der Einführung der Diätmargarine 1964 mächtig vergrößert: Heute liegen auch noch Diätmilch und Wurstwaren im Regal, dazu Käse, Diät-Joghurtdrinks und sogar Kaffeeweißer. Menschen mit sehr hohem Cholesterinspiegel könnten versucht sein, hier zuzugreifen nach dem Motto »viel hilft viel«. Und Gesunde könnten sich einreden, mit »Becel«-Produkten andere gesundheitsgefährdende Ess- und Lebensgewohnheiten kompensieren zu können. Auf »Becel«-Packungen stehen, kleingedruckt wie immer, inzwischen Empfehlungen und Warnungen, etwa, dass Schwangeren der Verzehr nicht empfohlen wird und dass man Becel nur essen sollte, wenn man wirklich einen zu hohen Cholesterinspiegel hat. Ist das – dank Functional Food – die Zukunft des Essens: Lebensmittel mit Beipackzettel?
Höchst problematisch ist außerdem die Frage der Dosierung von Lebensmittelzusatzstoffen, wie der Fall des Basil Brown zeigt. 1974 trank der englische Gesundheitsapostel innerhalb von zehn Tagen zehn Gallonen (ca. 37 Liter) Karottensaft und nahm dadurch das 10 000-fache der empfohlenen Menge für Vitamin A zu sich; mit hellgelber Haut und schweren Leberschäden starb Basil Brown, der auch Vitamin-A-Tabletten schluckte, im jungen Alter von 48 Jahren an Vitamin-A-Vergiftung. Der Fall mag kurios sein, doch er beleuchtet die von den Herstellern von Functional Food gern ins Feld geführte Mangelthese, wonach in heutigen Lebensmitteln zu wenige Nährstoffe seien, die man sich deshalb anderweitig zuführen müsse. Aber erstens ist die These vom Nährstoffmangel wissenschaftlich höchst umstritten, und zweitens summieren sich die Vitamine in vielen modernen Nahrungsmitteln zu einer Menge, die eher an Überdosierung glauben lässt denn an Mangel. Vitamine stecken heute in einer unüberschaubaren Zahl von Produkten, und oft nur, um sie haltbarer oder farblich ansprechender zu machen. Auch über den Umweg von Schlachttieren, die vor dem Bolzenschuss noch eine Vitamin-Spritze bekommen, damit ihr Fleisch später ansehnlicher ist, nehmen wir Vitamine zu uns: In 100 Gramm Salami können deshalb schon 20 Milligramm Vitamin C verborgen sein. Vitamin C steckt auch in Limonaden oder Fertigsalaten, und wer dann noch vitaminisierte Functional-Food-Joghurts löffelt, kann sich – unwissentlich – gefährlich viele Vitamine zumuten.
Während der gesundheitliche »Zusatznutzen« durch Lebensmittel nicht nur kaum beweisbar ist und sich sogar in einen Schaden umkehren kann, können Hersteller, die nur mehr Schönheit, Wohlgefühl, Wellness oder Fitness verheißen, umso ungenierter agieren. Auf dem Feld des Gefühlig-Assoziativen lässt sich ohne jeden Nachweis nahezu jeder vermeintliche Nutzen in verdummende Werbelyrik packen: Softdrinks, die sich »harmonisierend« auf den Stoffwechsel auswirken sollen; Eistees, die mit »wertvollen Antioxidantien« werben, aber vor allem Zucker und Aromastoffe enthalten. Teegetränke, die angeblich helfen, »fit und aktiv zu
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