»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
seien für eine Studie schwer durchfallkranke Kinder in indischen Krankenhäusern überprüft worden, bei einer anderen Untersuchung waren die Probanden Babys.
Einen Rückschlag musste das Unternehmen auch in den USA einstecken. US -Verbraucher, die sich von Danones Gesundheitsverheißungen über die angeblich verdauungsregulierenden Milchprodukte Activia und Actimel getäuscht fühlten, hatten eine Sammelklage gegen den Konzern eingereicht. Danone reagierte mit einem Vergleich in Höhe von 35 Millionen Dollar, dem größten Vergleich, der je wegen irreführender Werbung in der Lebensmittelbranche geschlossen wurde. Danone wird in den USA das Wort Immunität künftig nicht mehr auf die Joghurt-Packung drucken lassen und auch keinen positiven Effekt des Produkts auf das Immunsystem des Verdauungstrakts mehr versprechen.
Für die US -amerikanischen Verbraucher ist das zunächst mal eine gute Nachricht, deren Kern freilich ein wirtschaftspolitischer sein dürfte: Die amerikanische Molkereiwirtschaft wird sich über die Schlappe des Konkurrenten aus Europa die Hände gerieben haben. Und umso aggressiver dürfte der weltgrößte Produzent von Frischmilchprodukten deshalb seine geballte Lobbyistenmacht einsetzen, um zumindest im Stammgebiet Europa auch in Zukunft straflos seine zweifelhaften, aber profitfördernden Gesundheitsbotschaften verbreiten zu können. Dafür braucht Danone – wie Tausende anderer europäischer Nahrungsmittelhersteller auch – die Genehmigung der Europäischen Union. Deren Verbraucherschutzminister hatten 2006 ein EU -Gesetz verabschiedet, um Europas Konsumenten vor allzu windigen Gesundheitsversprechen der Functional-Food-Hersteller zu schützen. Bis Anfang 2010 sollte eine europäische Gemeinschaftsliste aller zulässigen »nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel« vorliegen, geprüft und anerkannt durch die EU -Behörde für Lebensmittelsicherheit ( EFSA ) im italienischen Parma. Doch bis heute liegt die Liste der zulässigen »Health Claims« nicht vor.
Der Grund dafür ist, dass die Unternehmen die EU -Behörde unter einer Flut von etwa 40 000 Anträgen für ihre Werbeclaims förmlich begruben. Das ist nicht nur ein Zeichen für die bedenkliche Naivität europäischer Ernährungs- und Verbraucherschutzpolitik. Mehr noch zeigt die Antragsflut, wie wenig viele Produzenten von Functional Food den Verbraucher ernst nehmen. Denn offenbar bedenkenlos ließen die Firmen ihre Marketingabteilungen flotte Werbeslogans über angebliche Gesundheitswirkungen ihrer Produkte kreieren, als stünden sie in der Fließbandküche eines Fastfood-Braters: Masse statt Klasse. Konsumenten, die den Zusagen der Produkte Glauben schenken und daran die Hoffnung auf Linderung ihrer Beschwerden knüpfen, muss die Fahrlässigkeit der Sprücheklopfer zynisch vorkommen. Fast beliebig beantragten die selbsternannten Gesundheitsapostel bei der EU -Lebensmittelbehörde die Genehmigung für Behauptungen wie »Ist gut für den Knochenbau« oder »Bringt Ihren Körper in Form«. Der Süßwarenhersteller Ferrero wollte seine Kinderschokolade allen Ernstes mit der Botschaft »Hilft beim Wachstum« vermarkten; eine französische Firma beantragte, ein mit speziellen Proteinen und Ballaststoffen versetztes Milchprodukt durch den Slogan »Reduziert das Hungergefühl« bewerben zu dürfen.
Immerhin: Die EFSA reduzierte die Antragsflut auf rund 4000, indem sie ähnliche Slogans zusammenfasste. Und sie wies vier von fünf der übrig gebliebenen Health Claims zurück, weil sie gar nicht oder nur unzureichend durch wissenschaftliche Studien belegt waren. Ist also alles wieder gut? Die Verbraucherinteressen gewahrt? Zweifel sind angebracht. Denn wenn die Liste irgendwann einmal doch noch EU -weit veröffentlicht sein wird – dann sind immer noch viele hundert, wenn nicht tausende Gesundheits-Slogans erlaubt, deren positive Wirkung auf eine insgesamt ausgewogene Ernährung fraglich ist. Zum anderen begünstigt das Verfahren vor allem die großen Lebensmittelfirmen. Seriöse Studien über einen Zeitraum von vielen Jahren und mit einer relevanten Anzahl von Probanden zu erstellen, können sich nur die Nestlés, Danones und Unilevers leisten – sie haben das Geld, sie verfügen in ihren großen Forschungsabteilungen über das wissenschaftliche Know-how. Selbst industrienahe Wirtschaftsmagazine befürchten, dass mittelständische Unternehmen auf Dauer chancenlos sind. Auch das wäre eine schlechte Entwicklung zu
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