»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Lasten der Verbraucher: die Großen werden immer größer; die Vielfalt verschwindet; und gute Produkte, die mit ehrlichen Aussagen beworben werden, überleben nur noch in Nischen.
Das war auch der Grund, warum die Lobbyisten der Großindustrie die EU -Kommission lange Zeit für die Health-Claims-Verordnung beklatschten – sie witterten die Chance, lästige Konkurrenten abzuschütteln. Doch selbst ein Multi wie Danone musste überrascht feststellen, wie schwierig die Zulassung von Gesundheits-Claims sein kann. Anfang 2009 zogen die Franzosen ihren Antrag für den Actimel-Claim »Stärkt die Abwehrkräfte des Körpers« zurück, später auch zwei Anträge zu Werbeclaims für Activia, den anderen probiotischen Joghurt. Offenbar wurde ihnen bewusst, dass es mit der Herrlichkeit ihrer Joghurt-Studien (»hilft das Darmwohlbefinden zu verbessern«, »aktiviert Abwehrkräfte«) doch nicht so weit her ist wie stets behauptet. Wenig überraschend kündigte Danone später an, seine Anträge mit zusätzlichen Daten erneut einzureichen. So schnell gibt schließlich kein Unternehmen einen milliardenschweren Markt preis, zumal der nach Meinung Danones mit Verdauungs- und Abwehrkräfte-Joghurts noch lange nicht abgeschöpft ist. Zum Beispiel testet die Firma bereits in klinischen Studien einen Drink, der den Gedächtnisverlust von Alzheimer-Kranken verzögern soll; Souvenaid, so der Name des Drinks, könnte als medizinisches Nahrungsprodukt in Apotheken und Krankenhäusern vertrieben werden. Und was bei Demenzkranken hilft, könnte eines Tages auch die Gehirnentwicklung bei Kindern fördern.
Schon jetzt ist also abzusehen, dass sich die Lebensmittel-Großindustrie und die EU -Bürokratie in jahrelangen Auseinandersetzungen verheddern werden, zum Teil auch vor Gerichten, während die Verbraucher, um deren Wohl und Schutz es dabei eigentlich gehen sollte, auf die billigen Zuschauerplätze verbannt sind. Während das europäische und deutsche Lebensmittelrecht ein Irreführungs- und Täuschungsverbot zum Schutz der Verbraucher propagiert, hat dies nicht verhindert, dass Lebensmittelproduzenten straflos das Blaue vom Himmel lügen können, um sich Vorteile auf dem Rücken ihrer Kunden und Konkurrenten zu verschaffen. Auch die Health-Claims-Verordnung der Europäischen Union wird wohl ein missglückter Versuch zur Werberegulierung bleiben. Weil sie keine unmissverständlichen politischen Vorgaben macht, sondern die Verantwortung an die Wissenschaft delegiert – in der naiven Erwartung, die könnte eindeutige Antworten auf die Frage geben, wann ein Lebensmittel gesund ist und wann nicht. Weil für konkrete Wirkungen auf die Gesundheit Dosierung und Gesundheitszustand von »Patienten« geklärt werden müssen, auch um negative Wirkungen zu vermeiden.
Wäre der Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit so einfach, wie es die Lebensmittelkonzerne uns Verbrauchern weismachen wollen, gäbe es nicht Tausende von Ernährungsratgebern und jedes Jahr hundert neue dazu. Dann gäbe es nicht zu jeder mit Studien untermauerten Aussage drei widersprechende Aussagen, die ihrerseits mit Studien belegt sind. Die Wissenschaft ist sich ja noch nicht einmal einig darüber, wie viel Vitamine unser Körper am Tag benötigt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt 45 Milligramm Vitamin C am Tag, Deutschland, Österreich und die Schweiz 100, die USA zwischen 75 und 90 und England knapp 40. Wenn es schon darüber keinen Konsens gibt, um wie viel weniger kann es dann eine befriedigende Antwort auf die Frage geben, welches Lebensmittel für wen unter welchen Umständen und in welchen Mengen gesund und welches schädlich ist? Denn einzurechnen wären auch das Alter einer Person, ihre genetische Disposition, ihr Lebensstil, das soziale Umfeld, die Ernährungs- und Kochkultur des Landes, das Klima und vieles andere mehr. Wie hilflos die auf purer Wissenschaftlichkeit beruhende Argumentation letztlich ist, bringt der Kalauer zum Ausdruck, den sich Ernährungswissenschaftler gelegentlich erzählen: Fördert nicht jedes Lebensmittel die Gesundheit, was schon dadurch bewiesen ist, dass Menschen, die gar nichts essen, zwangsläufig sterben?
Wie unzulänglich es ist, allein auf Studien zu setzen, zeigt das Beispiel der »Becel«-Margarine des Lebensmittelkonzerns Unilever. Die mit Pflanzenstoffen, sogenannten Pflanzensterinen, angereicherte Margarine senkt zwar tatsächlich den Cholesterinwert im Blut. Das ist durch Studien belegt, von denen sich auch
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