»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Förderband an ihm vorüberfließen. Dann wird das Fleisch von Hand eingesalzen und gewürzt und in den Reiferaum verfrachtet, schließlich in eine der 16 Räucherkammern aus Naturstein, in denen Sägespäne »heimischer Tannenhölzer« auf dem Boden vor sich hin glühen und so den Rauch erzeugen. Der Metzgermeister erzählt von seiner geheimen Gewürzmischung, die er in vierter Generation verwendet und von der Schwarzwälder Luft, die während der Frischluftphasen immer wieder in die Räucherkammern geblasen wird und angeblich zum besonderen Geschmack des Schinkens beiträgt. Der Mann gibt sich große Mühe, den Schinken mit so viel Regionalkolorit wie möglich anzureichern, ihn als ein Produkt zu beschreiben, das so nur im Schwarzwald hergestellt werden kann. In seiner Erzählung von der Schinkenwerdung fallen deshalb die einschlägigen Floskeln: »traditionelle Art«, »regionaltypische Delikatesse«, »überlieferte Rezeptur«, »alte Schwarzwälder Handwerkskunst«.
Seine Rede klingt fast wortgleich wie das, was das Unternehmen Abraham auf seiner Website über die Schinkenherstellung darbietet. Dort klickt man auf »das Geheimnis seines herzhaften Geschmacks« und erfährt so gut wie alles, nur nicht, dass von den 750 000 Schweinen, die im Jahr in Schiltach zu Schwarzwälder Schinken verarbeitet werden, kein einziges aus dem Schwarzwald kommt. Die Tiere beziehungsweise das Fleisch stammt vor allem aus Niedersachsen, Belgien und Holland. Auf der Website heißt es sogar, der Schwarzwälder Schinken werde »ausschließlich im Schwarzwald hergestellt«, was einer bewussten Irreführung der Verbraucher gleichkommt. Denn kaum einem normalen Kunden dürfte die feine, aber entscheidende Differenz zwischen
Herstellung
und
Erzeugung
geläufig sein. Zwischen diesen beiden harmlos anmutenden Wörtern klafft ein riesiger Unterschied, der so aussieht: Aus dem in holländischen, niedersächsischen oder belgischen Mastbetrieben
erzeugten
Schweinefleisch wird im Schwarzwald Schwarzwälder Schinken
hergestellt
. So spekuliert Abraham offensichtlich darauf, dass viele Kunden glauben, Schwarzwälder Schinken stamme von Schwarzwälder Schweinen. Was sollten die Verbraucher auch sonst annehmen?
Appelliert wird an Phantasien und Gefühle der Kunden: Um Zigaretten zu verkaufen, verheißt Marlboro den Käufern Freiheit. Red Bull dichtet ihnen Flügel an. Und um Schwarzwälder Schinken zu verkaufen, verspricht Abraham der Kundschaft Regionalität, Tradition, Authentizität. So verschleiert er, dass außer ein bisschen Schiltacher Luft und dem Rauch von Sägespänen aus Schwarzwaldtannen nichts Schwarzwäldisches am Schwarzwälder Schinken ist. Im Grunde kommt der Schwarzwälder Schinken nicht aus dem Schwarzwald, sondern aus Hollywood: Er ist ein Traumprodukt, ein uneingelöstes Versprechen.
Was Abraham macht, macht die halbe Lebensmittelbranche: Gnadenlos reitet sie auf der Regional- und Traditionswelle. Auf Verpackungen und in Zeitungsanzeigen, in Werbespots und bei Messen – überall agieren holzlöffelrührende, mistgabelschwingende, bollenhut- und dirndltragende Menschen, die nach »alter Art« oder nach »Omas Rezept« »in Handarbeit« »traditionelle« Lebensmittel herstellen, die »wie früher« schmecken oder »wie vom Bauern« und deren Zutaten stets »aus der Region« stammen, womit sie fast automatisch als irgendwie »natürlich«, »gesund« und »nachhaltig« geadelt sind. Man glaubt sich in einer Welt, in der es nur noch »Heimat« gibt und alles »original« ist, wenn nicht sogar »echt original«. Je globalisierter die Lebensmittelmärkte werden – Abraham verkauft seine Schinken in mehr als 20 Ländern – umso verwurzelter, bodenständiger geben sich die Hersteller. Und je standardisierter der Geschmack ihrer Massenprodukte ist, umso stärker entwickelt ist ihre Neigung, die Waren als Ergebnis traditioneller Handwerkskunst darzustellen. Tradition und vertrauenschaffende Regionalität sind die Sehnsuchtsmetaphern moderner Lebensmittelwerbung, die vorgetäuschte Idylle ist inzwischen konstitutiv.
Tatsächlich aber ist unsere Nahrung, ob Wurst, Cornflakes, Milch, Süßigkeiten, Wein oder Joghurt, heute zum größten Teil das Resultat industrieller, völlig unidyllischer Massenfertigung. Das muss man sich in aller Krassheit vor Augen führen: Unser Essen unterscheidet sich insofern nicht von Autos oder Gartenmöbeln. Und das gilt nicht allein für die Produkte, die wir im Supermarkt kaufen. Selbst das Metzger-
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