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»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen

Titel: »Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Bode
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und Bäckerhandwerk basiert fast im Standardfall auf der Traditionslüge: Die meisten Metzger schlachten nicht mehr, kaufen stattdessen Wurst und Fleisch bei Abraham & Co; und die meisten Bäcker sind zu besseren Aufbäckern abgestiegen, deren Teiglinge aus Osteuropa oder sogar Asien stammen.
    Das gibt die Branche ungern zu und dichtet deshalb ebenso unablässig wie blumig in der Absicht, die ernüchternde Realität hinter der idyllischen Kulisse zu verstecken. Manchmal entsteht dabei so aberwitzige Werbelyrik wie jene des Schutzverbandes Schwarzwälder Schinken. Er schreibt: »Hohe Tannen, frisches Quellwasser, reine Luft – Natur pur: Das ist die eindrucksvolle Bühne für den Auftritt eines der weltweit bekanntesten geräucherten Rohschinken: den Schwarzwälder.« Und: »Die unverwechselbaren Attribute des Schwarzwalds sind roter Bollenhut und grüne Tannen. Mit ihnen assoziiert der Verbraucher Qualität, Tradition und Regionalität.«
    Genau, das muss man wortwörtlich nehmen: Der Schinken ist ein Darsteller bei einem »Auftritt« auf einer »Bühne«, auf der er den »Schwarzwälder« gibt; und der Verbraucher soll anheimelnde, wärmende Begriffe »assoziieren«, nicht wissen. Er soll nicht wissen, dass Schweinefleisch aus halb Europa durch halb Europa gekarrt wird, bevor man es im Schwarzwald zum Schwarzwald-Schinken umdeutet; er soll nicht fragen, ob es nicht besser wäre für Tier, Mensch und Umwelt, die Sägespäne fürs Räuchern in die Fleischfabrik zu transportieren anstatt jährlich bis zu 10 000 Tonnen Schwein zum Schiltacher Abraham-Werk, nur weil das im Schwarzwald steht; der Konsument soll nicht wissen, dass die Tiere auf Spaltenböden gehalten wurden, er soll lieber »assoziieren«, sie kämen von Schwarzwälder Bauern (oder Zwergen), wo sie natürlich bis zuletzt ein gutes Schweineleben lebten; Verbraucher sollen nicht hinterfragen, warum ein luftgetrockneter Schinken von einer echten Schwarzwälder Sau nicht Schwarzwälder Schinken genannt werden darf, wohl aber der Schinken eines Schweins aus einem holländischen Mastbetrieb, nur weil der 14 Tage im Rauch aus Schwarzwälder Holzspänen hing.
    Das wiederum ist so, weil der »Schutzverband der Schwarzwälder Schinkenhersteller« die Schinkenproduktion haarklein spezifiziert hat, von der Schweinerasse über die Fütterung und das Alter der Tiere bis zu den Temperaturen bei der Trockenpökelung und beim Räuchern über Schwarzwälder Nadelhölzern; nur die Herkunft der Schweine hat der Verband ausgeklammert, wissend, dass es nicht so viele Schweine im Schwarzwald gibt wie der Markt nach Schwarzwald-Schinken verlangt. Zugegeben, die Standards sind hoch und verhindern, dass ein Hersteller in Ost-Bulgarien sein Produkt ebenso nennen darf. Im Gegenzug erhalten die, die die Standards erfüllen, »Herkunftsschutz« durch die Europäische Union: Nur Schwarzwälder Schinken, der nach dem vorgegebenen Verfahren im Schwarzwald hergestellt wurde, darf sich auch so nennen und seit 1997 das blau-gelbe EU -Siegel der »geschützten geographischen Angabe«, kurz »g.g.A.«, tragen. Ein klarer Fall von Verbrauchertäuschung, diesmal mit der EU -Gesetzgebung als Steigbügelhalter: Denn vielen Kunden ist eben nicht klar, dass das Siegel nur erfordert, dass mindestens
eine
der Produktionsstufen – also Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung – im Herkunftsgebiet stattfindet. Den Herstellern ist es nur recht, weil das Siegel die Abschottung ihrer Märkte gegen lästige Konkurrenz sichert und gleichzeitig die überregionale Vermarktung beflügelt. Im geschützten Raum ist gut Geschäfte machen mit Schinken, dessen Fleischherkunft mit Bollenhüten und Rauch von Schwarzwälder Holzspänen verschleiert wird: 2008 freute sich die Branche über einen »Rekordabsatz« in Deutschland und Europa von mehr als 6,8 Millionen Schwarzwälder Schinken, ein sattes Plus gegenüber dem Vorjahr von 13,5 Prozent. Kein Wunder, dass das g.g.A.-Siegel äußerst gefragt ist: Etwa 400 Produkte, davon rund 67 aus Deutschland, sind europaweit mit dem Siegel ausgezeichnet, neben dem Schwarzwälder Schinken sind das Nahrungsmittel wie die Bremer Klaben (ein schweres Hefegebäck mit vielen Früchten), die Schwäbischen Maultaschen, das Kölsch, Bayerischer Meerrettich und Münchner Bier, Holsteiner Karpfen und Nürnberger Rostbratwürste, Thüringer Rotwurst und Thüringer Leberwurst, Meißner Fummel (ein Feingebäck) und Schwarzwaldforelle. Für weitere etwa 150 Spezialitäten liegen

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