»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
hat der Lebensmittelmulti in deutschen Klassenzimmern verloren? Und was soll das Geschwafel eines Tütensuppen- und Brühwürfelunternehmens, »Bildungs-Impulse in einem umfassenden Sinne« geben zu wollen?
Der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt – Umsatz 2009: 108 Milliarden Schweizer Franken – bastelt auf diesem Weg an seinem Image und versucht, sich mit Werten wie Bildung und Verantwortung in Verbindung zu bringen. Aber Nestlé handelt so wie viele andere Produzenten – verantwortungslos. Denn auch Nestlé verdient Millio- nen Euro damit, Kindern und deren Eltern zum Beispiel Frühstücksflocken zu verkaufen, die mit einem Zuckeranteil von gut einem Drittel wahre Zuckerbomben sind. Ob »Cini Minis«, »Chokella«, »Nesquik Knusperfrühstück«, »Trio«, »Cookie Crisp« oder »Lion« – das süße Zeug wird fast wortgleich beworben wie Obst und Vollkorn beim »Lesefrühstück« mit Hotzenplotz: Die Zuckerflocken seien »wichtig für Wachstum und Entwicklung«. In seiner Werbung preist Nestlé den Geschmack zum Beispiel seiner »Cini Minis« (32,8 Gramm Zucker pro 100 Gramm) als »unwiderstehlich« an und lobt am Inhalt seiner »Cookie Crisp« die »31 Prozent wertvollen Vollkornweizen«, die »acht lebenswichtigen Vitamine« sowie Eisen und Kalzium, unterschlägt aber, dass von 100 Gramm »Cookie Crisp« 35,8 Gramm Zucker sind.
Die »Ernährungserziehung« an den Schulen à la Nestlé verliert jede Seriosität, wenn das Unternehmen gleichzeitig Kindern »unwiderstehliche« Angebote macht. Und wer Kindern zum Frühstück Schokokekse in Flockenform empfiehlt, hat jeden Kredit verspielt, wenn es um den verantwortungsvollen Umgang mit Ernährung geht. Nestlé fährt ganz einfach eine Doppelstrategie: Das »Lesefrühstück« in der Schule mit Hotzenplotz, Gemüse und Vollkorn ist für die Sonntagsreden der Vorstände und für nette Artikel in den Lokalzeitungen, aber werktags geht es um Cash mit überzuckerten Nahrungsmitteln für Kinder wie »Cookie Crisp« und »Cini Minis«.
»Unstillbare Lust auf Eis wird durch einen spontanen Impuls geweckt«, verrät Nestlé auf seiner Website. Und tatsächlich ist dem selbsternannten Ernährungserzieher im harten Konkurrenzkampf jeder altbewährte Verkaufstrick und jeder neue, noch so dumme Werbespruch gerade recht, um in den Kindern die »unstillbare Lust« nach Eis zu wecken: Nestlé-Eistüten liegen die »coole« Disney-Figur Donald bei (»Diese Ente will jedes Kind«) oder »vier tolle Propellerspielzeuge!«; und das Eis »Disney Princess« lässt »Mädchen-Prinzessinnen-Träume wahr werden!« Wahr wird hier mit Sicherheit allein Nestlés Traum von Umsatz und Profit.
Das sind zweifelsohne unlautere Werbemethoden – und nichts anderes. Genau durch deren massiven Einsatz ist der Zucker- und Lebensmittelindustrie über die Jahrzehnte etwas Einmaliges gelungen, das man als »Kunststück« bezeichnen würde, wenn es nicht so verheerende Folgen hätte: Die Lobby hat aus einem Gewürz, das niemand zum Leben braucht, einen Stoff gemacht, der heute von den meisten als Grundnahrungsmittel angesehen wird wie Reis, Brot oder Fleisch. Auch wenn es die Zuckerlobbyisten predigen – der Körper braucht gar keinen Zucker. Hunderttausende von Jahren hat der Mensch fast nur von Eiweiß und Fett gelebt, weil er Kohlenhydrate vor der Erfindung des Ackerbaus nur selten in Gräsern, Wurzeln, Früchten oder im Honig wilder Bienen fand. Der menschliche Organismus produziert den Zucker, den der Körper benötigt, von selbst, ganz ohne die Hilfe von Nestlé & Co.
Doch die Marketingmaschine redet den Konsumenten systematisch ein, der Körper habe einen regelrechten Tagesbedarf an Zucker, sein Fehlen sei quasi ein Zeichen von Mangelernährung. Mit reinem oder gar keinem Gewissen verkauft die Lebensmittelindustrie immer süßere Süßigkeiten oder versteckt den süchtig machenden süßen Stoff als Geschmacksverstärker in einer Riesenpalette von Nahrungsmitteln, in denen er nichts zu suchen hat oder wo ihn der normale Verbraucher nicht erwartet: Der Zucker steckt in Getränken, Fertigprodukten, Salatsaucen, Chips, Wurst, Müsli, Cornflakes, sogar in Kartoffelbrei und Fischfond. Selbst in Lebensmitteln, die dem Verbraucher meistens als »gesund«, »leicht« und »natürlich« angepriesen werden, packen die Hersteller jede Menge Zucker. Das »leichte Curry-Ketchup« von Heinz zum Beispiel enthält zwar 30 Prozent weniger Zucker als klassisches Ketchup – und gleicht den
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